Gelnhausen: Der Fall Litzinger und was er über uns sagt

Zwischen berechtigtem Zorn und digitalem Pranger

Gelnhausen

Die Vorfälle im Barbarossabad Gelnhausen erschüttern nicht nur die betroffene Stadt, sondern weit darüber hinaus. Der mutmaßliche sexuelle Übergriff auf junge Mädchen hat eine Welle der Empörung ausgelöst – verständlich, notwendig, berechtigt. Was sich allerdings in den Tagen danach entfaltete, ist eine zweite Geschichte. Eine Geschichte, die mindestens ebenso beunruhigend ist. Es ist die Geschichte eines Bürgermeisters, Christian Litzinger, der ins Kreuzfeuer geraten ist – nicht wegen einer Tat, sondern wegen eines Satzes. Und es ist die Geschichte einer Gesellschaft, die sich zunehmend schwer tut mit Maß, Kontext und Menschlichkeit.

Ein Bürgermeisterkollege aus Bad Soden-Salmünster hat sich nun öffentlich zu Wort gemeldet. In einem bewegenden Appell stellt er sich vor Christian Litzinger – als Amtskollege, als Familienvater, als Mensch. Und er findet Worte, die deutlich machen, wie dünn die Linie geworden ist zwischen öffentlicher Kritik und öffentlicher Vernichtung.

Was war geschehen? In einem Interview äußerte sich Christian Litzinger zu früheren Vorfällen im Freibad – Vorfälle, die mit Beleidigungen und Konflikten zu tun hatten, nicht mit dem aktuellen mutmaßlichen sexuellen Übergriff. Doch was im Netz kursierte, war nicht das Interview, sondern ein aus dem Zusammenhang gerissener Satz. Verkürzt, falsch interpretiert – und plötzlich Symbol eines angeblichen Skandals. Die Folge: Hassbotschaften, Rücktrittsforderungen, Morddrohungen gegen seine Familie. Ein digitaler Sturm, der nicht mehr fragt, was wirklich gesagt wurde, sondern nur noch empört, verurteilt, zerstört.

Die Reaktion seines Kollegen ist ein Mahnruf – gegen diese digitale Enthemmung, gegen die Entmenschlichung politischer Verantwortungsträger, gegen ein Klima, das jeden Fehler – echten wie vermeintlichen – mit maximaler Empörung beantwortet. Er erinnert daran, dass Demokratie nicht von Empörung lebt, sondern von Differenzierung. Dass Kritik nicht gleich Hass ist – aber auch Hass keine Kritik. Und dass es gefährlich ist, wenn politische Verantwortungsträger für kommunikative Unschärfen oder Missverständnisse so attackiert werden, als seien sie selbst Täter.

Der Fall Litzinger ist ein Spiegel. Er zeigt nicht nur, wie schnell sich Empörung verselbstständigen kann, sondern auch, wie dünn das Eis geworden ist, auf dem Menschen stehen, die Verantwortung übernehmen. Wenn selbst lokale Amtsinhaber für missverständliche Aussagen digital geschlachtet werden, droht ein Klima, in dem niemand mehr Verantwortung übernehmen will – aus Angst, am Pranger zu enden.

Dabei ist die Grenze eigentlich klar: Kritik ja, Hetze nein. Konsequenzen ja, aber auf Grundlage von Fakten. Emotionen ja – aber nicht ohne Verstand. Und vor allem: Solidarität mit jenen, die in schwierigen Lagen Haltung zeigen, sich erklären, Verantwortung übernehmen – statt sich zu verstecken.

Der Fall Gelnhausen verlangt Empathie mit den Opfern, konsequentes Handeln gegen Täter, einen kritischen Blick auf Verantwortliche. Aber er verlangt ebenso den Mut zur Differenzierung. Und die Bereitschaft, sich gegen den digitalen Mob zu stellen, wenn dieser beginnt, Menschen zu entmenschlichen.

Es ist ein gutes Zeichen, dass es noch Stimmen wie die des Bürgermeisters aus Bad Soden-Salmünster gibt. Es bleibt zu hoffen, dass es bald mehr davon gibt.

Denn Schweigen, wie er sagt, ist keine Option. Nicht in einer Demokratie, die sich selbst erhalten will. Auslöser war eine Aussage des Gelnhäuser Bürgermeisters Christian Litzinger (CDU): „Bei den hohen Temperaturen liegen die Gemüter manchmal blank.“ Laut Litzinger wurde dieser Satz von der Welt aus dem Zusammenhang gerissen. Er habe sich damit auf kleinere Vorfälle wie Diebstähle und Beleidigungen bezogen – insbesondere auf Beleidigungen, die sich im Freibad ereignet hätten. +++ nh


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2 Kommentare

  1. Der Beitrag von Bürgermeister Dominik Brasch ist ausgezeichnet und sehr lesenswert!
    Man kann nur hoffen und wünschen, dass seine Worte nicht auf „taube Ohren“ stoßen!
    UND DIESER BEITRAG VON FULDAINFO - Herrn Redakteur Norbert Hettler - ein äußerst kompetenter journalistischer Beitrag, der seines Gleichen im derzeit immer schlimmer werdenden skrupellosen „Sensationsjournalismuß“ suchen, aber nicht finden kann!

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