Ganz Fulda soll bis 2040 klimaneutral sein

Stadt lässt neues Klimaschutzkonzept erarbeiten: Bürger können sich beteiligen

Daniel Schreiner

Paukenschlag gestern Abend im Stadtschloss: Vom privaten Heizungskeller, über den wöchentlichen Lebensmitteleinkauf, bis hin zur örtlichen Industrie, dem Handel, städtischen Einrichtungen, dem Verkehr und vieles mehr soll das gesamte Stadtgebiet bereits 2040 klimaneutral sein. Und damit fünf Jahre früher, wie es das Klimaschutzgesetz für die gesamte Bundesrepublik vorsieht. Um als gutes Vorbild zu dienen, soll die Stadtverwaltung bereits 2030 die Klimaneutralität erreichen.

Wegweiser für diese kommunale Mammutaufgabe wird das neue Klimaschutzkonzept der Stadt Fulda sein, welches die erste Version von 2013 ersetzen wird. Bereits im April hat das beauftragte Ingenieurbüro Cooperative Infrastruktur und Umwelt mit Sitz in Darmstadt und Kassel die Arbeit aufgenommen. „Wir erleben alle, was Klimawandel für uns bedeutet. Niemand zweifelt das noch ernsthaft an. Klimaschutz müssen wir als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen“, sagte Stadtbaurat und Umweltdezernent Daniel Schreiner bei der gestrigen Auftaktveranstaltung im Stadtschloss. „In den letzten zehn Jahren sind nicht nur Themen, sondern auch Erfahrungswerte hinzugekommen. Daher ist es an der Zeit, an der Fortschreibung zu arbeiten.“ Die ökologische Transformation der Industrie ist zwar ein großer Hebel, um vor Ort die Emissionen der Treibhausgase zu senken, aber auch private Haushalte müssen ihren Beitrag leisten. Da jede Bürgerin und jeder Bürger für den Erfolg eine entscheidende Rolle spiele, können diese sich beim Ausgestalten des neuen Klimaschutzkonzepts einbringen.

Aller Anfang sind jede Menge Daten

„Wir erstellen kein Konzept für die Schublade, sondern eins, das zeitnah umgesetzt werden soll und wird“, zerstreute Luise Schmidt, Umweltingenieurin und Geschäftsführerin Cooperative, die Bedenken der rund 40 anwesenden Gäste. In den Lenkungskreisen sind sowohl Vertreterinnen und Vertreter aus der Stadtverwaltung wie der lokalen Politik eingebunden. So sollen rechtzeitig mögliche Hemmnisse aus dem Weg geräumt werden, denn letzten Endes verabschiedet die Stadtverordnetenversammlung nur Maßnahmen, die sie als sinnvoll und effektiv betrachtet. In fachlichen und ebenfalls nichtöffentlichen Arbeitskreisen tauschen sich Expertinnen und Experten aus und bereiten ihre Themenschwerpunkte in der Tiefe vor. Für den späten Herbst sind dann vier Workshops geplant, in denen Bürgerinnen und Bürger ihre Ideen einbringen. Dies können sie auch vorher schon auf der projekteigenen Internetseite, die sich allerdings noch im Aufbau befindet. „Es wird kein Wunschkonzern, sondern es geht wirklich ans Eingemachte“, erklärte Schmidt. Spätestens jetzt war klar, dass keine konzeptionellen Luftschlösser gebaut werden sollen. Zuvor hatte Fabiola Siering, Mitarbeiterin bei Cooperative, deutlich gemacht, dass kein gesamtgesellschaftliches Weiterso möglich ist und bisherige Maßnahmen nicht ausreichen, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Bei allem bürgerlichen Engagement wird allerdings entscheidend sein, inwieweit die regionale Wirtschaft am Endziel einer lebenswerten Stadt aktiv mitgestaltet – hierzu wurden ein entsprechender Arbeitskreis und ein intensiver Austausch angekündigt.

Noch steht das Vorhaben ganz am Anfang, indem es jede Menge Daten auszuwerten gilt, um den Ist-Zustand zu ermitteln und mit dem Klimaschutzkonzept von 2013 zu vergleichen. So sollen beispielsweise Energieversorger Informationen über den privaten wie gewerblichen Stromverbrauch liefern und über dessen Mix – Anteil fossile und erneuerbare Energie – Auskunft geben. Die Schornsteinfegerinnung weiß, wie viele Öl-  und Gasheizungen in der Region im Betrieb sind. Anhand der Energiebilanz lassen sich die Treibhausgasemissionen berechnen. Ebenfalls zu berücksichtigen gilt es bereits beschlossene oder umgesetzte Maßnahmen – hier hob Schmidt unter anderem das E-Mobilitätskonzept der Stadt Fulda hervor.

Danach werden neben Schwachstellen auch die größten Stellschrauben identifiziert, und vor allem Zwischenziele für einzelne Sektoren und Maßnahmen definiert, wie viel CO2-Emissionen beispielsweise in welchem Zeitraum reduziert werden oder wie viele Photovoltaik-Anlagen den Weg auf Fuldas Dächer gefunden haben sollen. Nur so lasse sich Fortschritt kontrollieren. Hitze, Dürre, Starkregen, Hochwasser und andere Extremwetterereignisse werden in Häufigkeit und Intensität zunehmen. Daher seien Maßnahmen zum Anpassen an Klimaveränderungen ein neuer wichtiger Aspekt. Zwar könne man in der einjährigen Projektphase diesbezüglich nicht in die Tiefe gehen, aber Impulse setzen. Das neue Klimaschutzkonzept wird die Stadt Fulda 120.000 Euro kosten, die Hälfte steuert der Bund über das Förderprogramm „Nationale Klimainitiative“ bei.

Erste Unzufriedenheiten

Unmut im Saal kam auf, da die Stadtverwaltung zur Auftaktveranstaltung ihr bekannte Fuldaer Akteuere in Sachen ökologischer Nachhaltigkeit – wie Verkehrswende Fulda, Bündnis für Klima und Nachhaltigkeit (BKN) und die Ortsgruppe von Fridays for Future (FFF) – nicht gezielt eingeladen hatte, was unter anderem Martin von Mallinckrodt vom BKN monierte. Mit FFF und BKN steht Oberbürgermeister Heiko Wingendfeld (CDU) im Klimadialog, mehrere nichtpresseöffentliche Termine haben stattgefunden. Ein anderer Gast kritisierte, der Auftakttermin sei zu kurzfristig bekanntgegeben und nicht ausreichend beworben worden. So kristallisierte sich die Bitte an das Ingenieurbüro heraus, eine bessere Informationspolitik als die Stadtverwaltung zu bieten.

Bevor man eine Organisation vergesse – schließlich müsste man beispielsweise jeden Schulförderverein, alle Sportvereine und dergleichen anschreiben – und zudem seien alle Bürgerinnen und Bürger angesprochen, habe man den Termin ausschließlich über die regionale Presse bekanntgegeben, entgegnete Stadtbaurat Schreiner. Eine entsprechende Pressemitteilung wurde am 19. Mai verschickt. „Alle sind Akteure, alle gehören zur Stadtgesellschaft“, bekräftigte er. Mit dieser Erklärung gab sich eine Teilnehmerin nicht zufrieden. Schließlich sei es auch gelungen, alle tangierten Interessensvertretungen wie beispielsweise die örtlichen Gruppen vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) und dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) im Zuge der Planungen für die Landesgartenschau frühzeitig zu informieren und vor allem einzubinden. Auch fehlende Transparenz zum Fazit und zentralen Ergebnissen des ersten Klimaschutzkonzepts wurde bemängelt. „Ich verstehe nicht, wie man bei einer Auftaktveranstaltung schon mit Unterstellungen anfängt, das Ganze in dem Maße politisiert und sich damit in Gegensätze begibt. Das finde ich bedauerlich, aber es ist legitim. Wir haben bilanziert und es wird in öffentlich zugänglichen Ausschüssen darüber diskutiert. Weniger heimlich als öffentlich kann ich es nicht machen“, zeigte sich Schreiner sichtlich verärgert.

Schmidt konnte die Wogen teils glätten. Zu den Workshops werden Akteure der jeweils thematisch passenden Interessensvertretungen gezielt eingeladen. Zudem werden sämtliche Ideen und Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger dokumentiert. Sobald in der ersten Arbeitsphase alle notwendigen Daten erhoben sind, sollen diese in verständlicher Form auf der projekteigenen Internetseite einsehbar sein. Im Kern gehe es doch darum, möglichst alle Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen und hier sei eine intensive und offene Kommunikation essenziell. Ein breites und oftmals ehrenamtliches Engagement aus der Bürgerschaft ist nötig, wie immer wieder betont wurde. So kam auf private Initiative ein kostenloser Verleih für E-Lastenräder zustande. Auf dem selben Weg habe sich ein solches Angebot in Darmstadt etabliert, wie Schmidt erläuterte und immer wieder für die vermeintlich kleinen Schritte warb. Daher soll auf der Abschlussveranstaltung im kommenden Jahr nicht „nur“ das neue Klimaschutzkonzept präsentiert, sondern konkrete Handreichungen verteilt werden. Etwa für Hausbesitzer, die so auf Fördermaßnahmen für das energetische Sanieren aufmerksam werden und erfahren, wie sie diese in Anspruch nehmen können.

Bei allem Unmut über die als ausbaufähig wahrgenommene Informationspolitik und aller Skepsis, inwieweit konkrete Maßnahmen für den Klimaschutz tatsächlich beschlossen und umgesetzt werden, gab es mehrfach ausdrückliches Lob für das ambitionierte Ziel der Stadt Fulda. +++ Jens Brehl