Fulda und seine Weingeschichte

„Fulda, eine trinkfrohe Winzerstadt“

Michael Mott

Das hier seit 2021 stehende Kunstwerk eines Spätlesereiters erinnert an die „Wiederentdeckung“ der Spätlese im Jahre 1775 auf Schloss Johannisberg im Rheingau, seit 1716 „das schönste Kleinod des fuldischen Fürstenhutes“. „Fulda, eine trinkfrohe Winzerstadt“, schrieb einmal Heimatkundler Michael Mott und in der Tat, die Beziehung Fulda und seine zentrale Rolle in der Weingeschichte hat lange Tradition, so erfolgte die erste urkundliche Erwähnung des Weinanbaugebiets Franken bereits im Jahre 770 in einer Schenkungsurkunde an den Heiligen Bonifatius, also an das altehrwürdige Benediktinerkloster Fulda, die auch Fuldas Klostergründerabt Sturmius unterzeichnete.

Auf dem Klosterberg über Wüstenzell (Propstei Holzkirchen bei Würzburg) bauten Fuldaer Mönche schon seit 775 über tausend Jahre selbst Wein an. Die Stadt war im frühen Mittelalter die größte Winzergemeinde Deutschlands. Bereits Hans Brosamer, Fuldaer Hofmaler von 1536 bis 1545, hat in seiner ältesten Stadtansicht gezeigt, wo dereinst ein „Wynberg“ angelegt war. Dass die Fuldaer trinkfreudige Genossen waren, kann man den Stadtrechnungen entnehmen, welche von recht beachtlichen Weingelagen berichten; auch heute bei den alljährlichen Fuldaer Weinfesten, hat sich noch kein Weinhändler über den Umsatz beklagt.

Im Jahre 1716 erwarb Fürstabt Constantin von Buttlar „für Schwehren Geldes Kösten“ die uralten Baulichkeiten des ehemaligen Benediktinerklosters auf dem Johannisberg im Rheingau und schuf eine barocke Anlage. So kam ein Kleinod deutscher Weinlagen in exponierter Südlage in Fuldaer Besitz und machte die „Perl und Schmuck des Rheins / Des Ringaus erste Zierd / die Quell des Besten Weins“, so Geheimrat Welle 1757, zu einer Gnadenstätte der Rebzucht. Eine Rheininsel zu Füßen von Johannisberg trägt heute noch den Namen „Fulder Au“. Im Innenhof vor dem Kelterhaus des Weingutes Schloss Johannisberg erinnert eine Tonplastik aus dem Jahre 1960, quasi als Pedant zu unserem Spätlesereiter an die wunderbare Geschichte, aber alten Mär, der „unfreiwilligen Geburt“ der Spätlese.

Dem Spätlesereiter von 1775, der mit reifen Trauben von Johannisberg nach Fulda ritt, um die Leseerlaubnis zu erhalten, werden 14-tägige Verspätung bei der Rückkehr infolge amouröser Abenteuer, Krankheit, Raubüberfall, Trunkenheit, Unwetter oder gar Faulheit nachgesagt / Die Trauben befanden sich in einem edelfaulen Zustand. Der Saft wurde trotzdem vergoren. Glück im Unglück: der verspätete Beginn der Weinlese brachte einen Superwein. Doch in den Urkunden ist nirgends von einer Einholung der Leseerlaubnis die Rede. Schon im 17. Jahrhundert sind Spätleseweine beispielsweise im südfranzösischen Bordelais oder in Ungarn (Tokaj) bezeugt, mit dem Lesebeginn wurde allenthalben „gepokert“. Ob nun Fürstbischof Heinrich VIII. von Bibra 1775 erst von der Hofverwaltung unter ihrem wohlerfahrenen Oberhofkellermeister Burkhard Schild von dem Vorteil des „späten Lesens“ überzeugt werden musste, scheint fraglich. Man hatte jedoch die „Furcht vor Fäulnis der Trauben verloren“ und mit dem nunmehrigen Beginn der systematischen Nutzung der Edelfäule wurde von Fulda aus, ein bedeutendes Kapitel der Weingeschichte eingeläutet.

Der 1989 gegründete Weinhistorische Konvent Fulda mit Kostümgruppe, dessen Symbol der „Spätlesereiter“ ist und die Vereinszeitschrift „Spätlese-Kurier“, knüpft an die Jahrhunderte währende Verbindung zwischen Wein und der Stadt an. Zu den vieltätigen Aktivitäten zählen ein großer Konventstag, Weinproben in historischen Räumen, Veranstaltungen zum Thema Wein und Künste, Rebblütenfest, Tafelrunden zur Pflege der Wein- und Esskultur, kulinarische Exkursionen in die Weingeschichte, Treffen mit befreundeten Konventen, Pflegen einer Weinbibliothek, zudem wird seit 1991 wieder Wein am Frauenberg kultiviert. Riesling und Kultur in schöner Symbiose bieten zu guter Letzt im November auch die Spätlesetage Fulda. Auch ein Comic mit der Geschichte des Spätlesereiters „Karl“ und eine entsprechende Postkartenserie kamen auf den Markt.

Bis zur Säkularisierung 1803 mit Fulda, sorgten Fuldaer Mönche und Verwalter auf dem Johannisberg mit Rieslingkulturen für Sortenreinheit in den Weinbergen. Mit der Erforschung und Weiterentwicklung des späten Lesens leisteten sie einen bedeutenden Beitrag zum kultivierten Anbau des Weines. Noch aus fuldischen Beständen in der Orangerie stammte ein Großteil von 2.000 Flaschen Schloss Johannisberger Spätleseweine, die 1804 bei der Kaiserkrönung Napoleons I. in Versailles aufgetischt wurden. In Fulda gab es in der Biedermeierzeit mehr Weinstuben als Bierhäuser „Man wusste den Wein zu würdigen, das beweisen die Rubin-Nasen der Fuldaer, wahre Prachtexemplare“, heißt es. Den Augen der Öffentlichkeit verborgen, befinden sich in den Grundsteinen barocker Gebäude, wie Hauptwache, Paulustor oder Alte Universität noch einige Flaschen der köstlichen Johannisberger Weine.

Zum Abschluss der aufwendigen Renovierung des Fuldaer Stadtschloss-Innenhofs, der mit archäologischen Untersuchungen einherging, erhielt der Johannisberger Herbstkurier nun auch in der einstigen Residenz des Fürstbischofs seinen Platz. Der historische Bezug ist auf jeden Fall vorhanden, denn in den Kellern des Stadtschlosses wurden im 18. Jahrhundert die besten Weine aus der fuldischen Besitzung im Rheingau in Fässern eingelagert und dort später in Flaschen abgefüllt. Nachdem im Herbst 2019 die CDU-Stadtverordnetenfraktion einen Haushaltsantrag zur Konzeption der geschichtlichen Aufarbeitung des Spätlesereiters stellte und eine Umsetzung beschlossen wurde, begann man mit der Erstellung einer Auslobung (Mehrfachbeauftragung), bei der Bildhauerinnen und Bildhauer aus ganz Deutschland zur Erstellung eines Entwurfs aufgefordert wurden. Daraufhin wurden fünf Bildhauerinnen und Bildhauer dazu aufgefordert, Entwürfe für die Skulptur des Spätlesereiters einzureichen.

Eine Jury begutachtete die eingegangenen Werke und legte die Gewichtung bei der Bewertung der Entwürfe vor allem auf die künstlerische und freiräumliche Qualität, die Herausarbeitung des Ortsbezugs sowie die historische Aufarbeitung und entschied sich in dem anonymisierten Verfahren einstimmig für den Entwurf der Berliner Bildhauerin Valerie Otte, die ihre Ausbildung in London, Berlin und Potsdam absolviert hat. Die Errichtung der Skulptur eines Spätlesereiters im Schlosshof Fulda wurde im August 2020 vom Magistrat beschlossen, sodass alle weiteren Vorkehrungen in die Wege geleitet werden konnten. Unser Spätlesereiter in Augenhöhe mit seinem Pferd symbolisiert einen der seit 1718 urkundlich belegten „Träubelboten“ die alljährlich erlesene Trauben über eine Strecke von rund 220 Kilometern zu Pferd an den fürstlichen Hof brachten und in Fulda mit zwei Gulden entlohnt wurden; so den Heinrich Schenk im Jahre 1722 oder den Michael Allinger im Jahre 1773 und gibt Kunde von weinseligen Zeiten. Für den ehemaligen Johannisberger Verwalter Erwin Boos handelt es sich bei den Spätlesereitern um die sympathischsten Reiter der Welt, da sie unbewaffnet sind. +++ michael mott