Flucht nach Deutschland – Die Angst als ständiger Begleiter

Buch über die Flucht nach Deutschland geschrieben

Haidara Mona (links) hat im Essbaren Garten in Tann erstmals vor einer kleinen Öffentlichkeit Auszüge aus seinem bislang unveröffentlichten Buch gelesen. Foto: Sandra Limpert

„Ich gehe an diesem Tag und lasse ein Loch im Herzen meiner Mutter. Sie füllt es mit Tränen.“ So beschreibt Haidara Mona den Beginn seiner Flucht, die ihn von seiner Heimatstadt Lattakia im Westen Syriens über die Türkei, Griechenland, Spanien und Frankreich schließlich nach Deutschland führt, wo er seit vier Monaten in der Gemeinschaftsunterkunft am Dietgeshof lebt. Die Erfahrungen seiner knapp einjährigen illegalen Reise hat der 29-Jährige auf 350 Seiten festgehalten, über ein Textverarbeitungsprogramm seines Smartphones. „Ich habe keinen Computer. Aber das Handy habe ich immer dabei, so konnte ich jederzeit schreiben, wenn mir eine Idee gekommen ist, zum Beispiel in der Schule oder im Zug“, berichtet er. Das Schreiben habe ihm geholfen, die Langeweile während seines Aufenthalts in der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen zu ertragen.

Anlässlich des Tags der offenen Gesellschaft stellte der Hobby-Autor auf Einladung des AWO-Familienzentrums Tann und des Vereins Tann Aktiv im Essbaren Garten in Tann erstmals einer kleinen Öffentlichkeit Auszüge aus seinem bislang unveröffentlichten Werk vor. „Deine Geschichte geht ins Herz“, kommentierte Zuhörerin Conny Manns nach der etwa zehnminütigen Kostprobe. Mona versucht, möglichst viele Bilder der arabischen Sprache wörtlich zu übernehmen, um die Poesie zu bewahren. Mit dem Titel „Wolke am Himmel“ meint der Autor laut eigener Erklärung sein Fluchterlebnis: „Je mehr Wolken, desto schwieriger ist das Leben eines Menschen“.

Seine Angst beschreibt er als Gestalt, die ihn an der Hand packte, wenn er Kontrollen passierte, und die neben ihm im Flugzeug oder mit im kleinen Boot auf dem Fluss zwischen der Türkei und Griechenland saß und die auch heute während der Lesung neben ihm sitze. „Wir haben uns aneinander gewöhnt.“ Der sprachbegabte Elektrotechnik-Ingenieur ist am Dietgeshof als freiwilliger Dolmetscher für den Landkreis Fulda im Einsatz. Neben seiner Muttersprache beherrscht er Türkisch, Englisch sowie „ein bisschen Armenisch und Spanisch“. Im Deutschen hat er jüngst das B1-Zertifikat bestanden, das ihm attestiert, sich in Alltagssituationen fließend verständigen zu können. Literarische Übersetzungen gehören nicht zu den Anforderungen, trotzdem widmet er jede freie Minute der Übertragung seines autobiografischen Texts ins Deutsche.

Zu der mühseligen Tätigkeit motiviert hat den jungen Syrer sein Lehrer für Deutsch als Fremdsprache, Dr. Ralf Oldenburg. Dieser organisiert als Dozent der Volkshochschule der Stadt Fulda für die interkulturelle Woche in Fulda eine Schreibwerkstatt, die vom 12.-16. September in Zusammenarbeit mit der VHS in deren Räumen stattfindet. Teilnehmen können Interessierte ab 18 Jahre aller Sprachstufen. Sie erhalten Ideen sowie ein Skript mit kreativen Übungen für eigenes Schreiben, dürfen aber auch begonnene oder fertige Texte mitbringen. Die besten Ergebnisse sollen im Verlag Edition Bärenklau veröffentlicht werden, zu dem Oldenburg, selbst Autor mehrerer Bücher, engen Kontakt pflegt. „Haidara Mona ist ein ganz heißer Kandidat für die Prämierung“, verrät der Germanist nach Lektüre der ersten drei Kapitel, die Mona zunächst ins Englische übersetzt hatte. „Das hat mich vom Hocker gehauen. Er schreibt wirklich toll.“

„Ich wollte schon lange ein eigenes Buch schreiben, das stand auf meiner Liste wie London und Paris zu sehen oder eine Aufführung des Balletts „Giselle“ zu besuchen“, erzählt der Migrant. Zwar habe er auf Drängen seiner Eltern Elektrotechnik studiert, aber sein eigentlicher Wunschberuf sei Innenarchitekt. Er ist davon überzeugt, dass alles im Leben aus gutem Grund geschehe. „Erst war es für mich ein Alptraum, dass ich am Dietgeshof gelandet bin“, gesteht der Stadtmensch. Aber mittlerweile gewinnt er der Abgeschiedenheit den Vorteil ab, dort ungestört mit Hochdruck bis September an seiner Übersetzung arbeiten zu können. +++ pm