Fall Lübcke: Verdächtiger verübte Anschlag auf Asylbewerber

Steinmeier fordert schnelle Aufklärung

† Dr. Walter Lübcke

Im Fall des ermordeten Regierungspräsidenten des Bezirks Kassel, Walter Lübcke (CDU), mehren sich die Hinweise, dass die Tat einen rechtsextremistischen Hintergrund hatte. So hat der am Wochenende festgenommene und dringend tatverdächtige Stephan E. laut Sicherheitskreisen bereits 1993 im Alter von 20 Jahren mit einer Rohrbombe eine Asylbewerberunterkunft im hessischen Hohenstein-Steckenroth angegriffen. Das berichtet „Zeit-Online“.

Die Bombe war in einem Auto untergebracht gewesen, das in Brand gesetzt wurde, aber gerade noch rechtzeitig von Bewohnern der Unterkunft gelöscht werden konnte, bevor der Sprengsatz detonierte. Stephan E. wurde zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Schon damals war Stephan E. Medienberichten zufolge als Rechtsextremist bekannt und wegen Körperverletzung und einer weiteren Brandstiftung mit ausländerfeindlichem Hintergrund sowie Verstößen gegen das Waffengesetz in Erscheinung getreten. Nach Recherchen von „Zeit-Online“ nahm E. außerdem im Januar 2004 in Gladenbach an einer rechtsextremen Demonstration des „Volkstreuen Komitees für gute Ratschläge“ teil.

Bundesanwaltschaft geht von rechtsextremer Tat aus

Übereinstimmenden Medienberichten zufolge geht die Bundesanwaltschaft im Fall Lübcke derzeit von einer rechtsextremistischen Tat aus. Grund dafür seien das Vorleben und die Äußerungen von Stephan S., der seit Sonntag wegen dringendem Mordverdacht in Untersuchungshaft sitzt. Spezialkräfte hatten ihn am Samstag in den frühen Morgenstunden festgenommen. Zu dem Mann hatte ein DNA-Spurentreffer geführt. Lübcke war am 2. Juni vor seinem Wohnhaus in Wolfhagen-Istha erschossen aufgefunden worden.

Steinmeier fordert schnelle Aufklärung

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat besorgt auf den Verdacht eines rechtsextremistischen Hintergrundes im Mordfall des nordhessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke reagiert. „Die vollständige Aufklärung des Todes des Kasseler Regierungspräsidenten, Walter Lübcke, hat jetzt oberste Priorität. Beispiele aus der jüngeren deutschen Geschichte zeigen, wie wichtig es ist, jede einzelne Tat zeitnah und vor allem umfassend aufzuklären“, sagte Steinmeier der „Süddeutschen Zeitung“ (Dienstagausgabe) und spielte damit auf die NSU-Mord-Serie und die damals lange Zeit fehlgeleiteten Ermittlungen an. In drastischen Worten stellte Steinmeier einen Zusammenhang zwischen Hass und Hetze im Internet und tödlichen Verbrechen her: „Wo die Sprache verroht, ist die Straftat nicht weit“, sagte das Staatsoberhaupt der SZ. „Die Verächtlichmachung eines Menschen, der einer Gewalttat zum Opfer gefallen ist, darf uns nicht nur empören. Sondern sie fordert uns herau s, alle Mittel des Rechtsstaats zu nutzen, um Herabwürdigung und Gewalt auch in den Sozialen Medien zu ahnden.“ Polizei und Staatsanwaltschaften müssten so ausgestattet sein, „dass sie Hass und Hetze im Netz der Anonymität entreißen und konsequent verfolgen können“. Auch die Plattformbetreiber trügen Verantwortung für strafbares Verhalten in ihren Medien, so Steinmeier. Er würdigte ausdrücklich den vierten bundesweiten Aktionstag gegen strafbare Hasspostings, den am 6. Juni Polizistinnen und Polizisten in 13 Bundesländern veranstaltet hatten. Er sei „ein wichtiges Zeichen des wehrhaften Rechtsstaates und ein klares Signal, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist“ gewesen, so der Bundespräsident.

Justizministerin will mehr Schutz für Menschen wie Lübcke

Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) äußerte sich entsetzt über die Tat und die anschließenden Kommentare im Internet. „Fassungslos machen mich auch die Hetze, die Drohungen und zuletzt – nach seinem Tod – die Verhöhnung von Walter Lübcke“, sagte Barley der „Süddeutschen Zeitung“ (Dienstagsausgabe). „Dieser Hass zielt auf die Mitte der Gesellschaft.“ Solche Drohungen, so Barley, sollten „alle einschüchtern, die sich für eine friedliche, offene Gesellschaft einsetzen und die sich um Menschen kümmern, die vor Krieg und Terror geflohen sind. Das erleben auch Journalisten, Bürgermeister, Ehrenamtliche, die sich gegen rechte Gewalt wenden.“ Die Schlussfolgerung der SPD-Politikerin: „Der Staat muss diese Menschen stärker schützen.“ Barley nahm Bezug auf die Morde des NSU: „Wenn wir jetzt nach Kassel schauen, erinnern wir uns natürlich an den Mord an Halit Yozgat, das neunte Todesopfer des NSU.“ Es sei gut, dass die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen im Fall Lübcke an sich gezogen habe.

Grüne, FDP und Linke wollen Sondersitzung

Die Fraktionen von Grünen, FDP und Linken im Bundestag beantragen gemeinsam eine Sondersitzung des Bundestags-Innenausschusses zum Mordfall Lübcke. Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sagte dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“: „Eine Sondersitzung des Innenausschusses ist angesichts der dramatischen und beunruhigenden Entwicklungen im Fall Lübcke unausweichlich.“ FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser sagte dem RND: „Nach der Übernahme der Ermittlungen des Generalbundesanwalts erwarte ich eine kurzfristige Sondersitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages.“ Bereits am Sonntag hatte auch die Linken-Politikerin Martina Renner eine Sondersitzung des Ausschusses an diesem Mittwoch ins Gespräch gebracht. FDP-Politiker Strasser sagte dem RND weiter: „Seit Jahren nehmen Drohungen aus dem rechtsextremen Umfeld gegen Politiker und Andersdenkende zu. Die Bundesregierung verweigert schon zu lange, die Strukturen und das Gewaltpo tential der rechtsextremen Szene gegenüber dem Parlament konsequent offenzulegen. Wir brauchen entschlossene Aufklärung und wirksame Maßnahmen gegen rechtsterroristische Strukturen.“ Zuvor hatte sich der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster angesichts der jüngsten Festnahme im Mordfall des Kasseler Regierungspräsidenten schockiert gezeigt. „Sollte es sich tatsächlich um einen politisch motivierten Mordanschlag handeln, wäre das nicht nur ein besonders abscheuliches Verbrechen, sondern angesichts der hetzerischen Stimmung gegen das Opfer auch ein entsetzlicher Skandal“, sagte er dem „RND“. „In bestimmten bürgerlichen Milieus verschwimmen die Grenzen zum Extremismus immer stärker.“ Schuster fügte hinzu, die öffentlichen Anfeindungen gegen Lübcke müssten vor diesem Hintergrund „in jedem Einzelfall konsequent ausermittelt werden“. Dabei sei es auch wichtig, zu klären, ob der Mord die Tat eines Einzelnen gewesen sei oder nicht. +++