Experten hoffen auf Normalisierung bis zum Sommer

Vorwurf der versteckten Triage bei alten Covid-19-Patienten

Bei der Frage, wann sich das Leben in der Corona-Pandemie wieder normalisiert, hoffen Experten auf die wärmere Jahreszeit, sind aber auch skeptisch. „Wenn die kalte Jahreszeit vorbei ist, Ostern könnte so ein Zeitpunkt sein“, sagte Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes „Focus-Online“. Friedemann Weber, Professor für Virologie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen sagte demselben Magazin, wenn sich sein optimistisches Szenario bewahrheite, „dann sollte das Frühjahr spürbar unbeschwerter sein, der Sommer schon fast wieder normal, und der Herbst so gut wie normal“.

Ralf Reintjes, Professor für Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung an der Hamburg Universität für Angewandte Wissenschaften sagte „Focus-Online“, wenn die Bevölkerung beim Schutz vor der Übertragung des Virus nachlässiger und das Impfen nicht deutlich intensiviert werde, werde man „vermutlich noch lange mit der Pandemie zu tun haben“. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte angekündigt, dass schon „bis zum Sommer“ 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung geimpft werden könnten. Das entspräche in etwa auch der Ankündigung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), im Sommer jedem, der dies wolle, „ein Impfangebot“ machen zu können. Bezogen auf Deutschland müssten dafür aber ab sofort jeden Tag knapp 200.000 Menschen geimpft werden. Zuletzt ging laut Daten des Bundesgesundheitsministeriums die Zahl der Erstimpfungen allerdings von im Wochendurchschnitt täglich 73.000 auf 58.000 zurück, ein sechsstelliger Wert wurde bislang an keinem Tag erreicht. Fast einen Monat nach Beginn der Impfkampagne haben erst 1,8 Prozent der Bevölkerung wenigstens eine Impfdosis bekommen.

Vorwurf der versteckten Triage bei alten Covid-19-Patienten

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Corinna Rüffer hegt den Verdacht, dass es in Deutschland bei der Behandlung von Corona-Erkrankten täglich massenhaft zu einer versteckten Triage-Situation kommt. „Wir müssen befürchten, dass insbesondere erkrankte Hochbetagte in Pflegeheimen nicht die medizinische Versorgung bekommen, die sie eigentlich bräuchten“, sagte Rüffer dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Rüffer verwies auf die aktuellen Statistiken des Robert-Koch-Instituts (RKI) zu den Corona-Todesfällen. Aus ihnen werde deutlich, dass rund zwei Drittel der Corona-Verstorbenen nicht auf einer Intensivstation gestorben seien, sondern zum Beispiel in einem Pflegeheim. „Das könnte darauf hindeuten, dass vor Ort in einer Art Triage entschieden wird, schwer Erkrankte nicht mehr ins Krankenhaus zu bringen“, so Rüffer. „Das muss untersucht werden“, forderte die Grünen-Abgeordnete. „Wir brauchen darüber eine öffentliche Debatte“. Rüffer sagte, denkbar sei zum Beispiel, dass die Krankheit so schnell verlaufe, dass es gar nicht mehr zu schaffen sei, die Patienten ins Krankenhaus zu bringen. Ärzte hätten ihr aber berichtet, dass das eher die Ausnahme sei. Auch hätten Bewohner von Pflegeheimen zum Teil eine Patientenverfügung.

Das erkläre aber nicht die hohe Zahl derjenigen, die nicht auf Intensivstationen versterben, sagte die Bundestagsabgeordnete. „Für mich besteht daher der Verdacht, dass Menschen aus Pflegeheimen keine Chance auf eine intensivmedizinische Behandlung bekommen, weil sie von vorne herein aussortiert werden“, sagte Rüffer. „Wenn das zutrifft, würde das im Prinzip bedeuten, dass eine Vor-Triage in Einrichtungen stattfindet.“ Möglich sei zwar auch, dass Verwandte eine Verlegung in eine Klinik ablehnten aus Sorge, ihre Angehörigen würden dann wegen der dortigen Isolation allein sein und im Zweifel auch einsam sterben. „Palliativmediziner haben mir berichtet, dass deshalb oftmals statt einer Beatmung eine palliative Sterbebegleitung vorgezogen wird“, sagte Rüffer. „Das zeigt, in welch schlimmem Dilemma sich Angehörige befinden und es stellt sich dann doch die Frage, warum die Kliniken es bis heute nicht schaffen, eine Begleitung durch Angehörige zu organisieren“, sagte sie. Zudem wurde ihr von Einzelfällen berichtet, in denen die Angehörigen von der Einrichtung gedrängt wurden, auf eine Einweisung in ein Krankenhaus zu verzichten. Rüffer sagt, Corona sei in allererster Linie eine Pandemie der alten Menschen. „Diese mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu schützen, wäre die erste Pflicht des Staates gewesen. Dabei hat er bis heute versagt“, so die Grünen-Politikerin.+++