Experten: Corona-Dunkelziffer zwei- bis dreimal so hoch

Hausärzte mahnen mehr vierte Corona-Impfungen an

Der Bundesverband der Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖDG) geht davon aus, dass die Corona-Infektionsrate in Deutschland deutlich über der amtlich gemeldeten Zahl liegt. Er schätze die Corona-Dunkelziffer auf etwa zwei- bis dreimal so hoch wie die offiziellen Zahlen, sagte der BVÖDG-Vorsitzende Johannes Nießen dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Die amtliche Summe ergibt sich aus den PCR-Test-Meldungen abzüglich der Verstorbenen. „Zunehmend ist es so, dass Personen sich einem Antigentest unterziehen und keinen PCR-Test mehr durchführen.

Dies führt zu einer Untererfassung der Infektionen“, sagte Nießen dem RND. Das Corona-Monitoring von Abwasser und Antikörperstudien von Blutspenden geben laut Nießen einen Hinweis auf diese Untererfassung. Der Entwurf für ein neues Infektionsschutzgesetz enthält Ausnahmen für Dreifach-Geimpfte für drei Monate und für innerhalb der letzten 90 Tage Genesene, etwa von der Maskenpflicht in öffentlichen Einrichtungen und von der Testpflicht bei Besuchen in Krankenhaus oder Pflegeheim. Doch um eine überstandene Infektion nachweisen zu können, brauchen die Menschen einen positiven PCR-Befund. „Nur ein Teil derjenigen, die einen positiven Schnelltest haben, machen zur Bestätigung auch einen PCR-Test. Allein deswegen schon ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen“, sagte auch der Bundesvorsitzenden des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, dem RND. Laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) ist die Zahl der PCR-Tests seit März stark eingebrochen.

Wurden zu Spitzenzeiten im Januar und März dieses Jahres rund 2,5 Millionen Tests pro Woche an das RKI gemeldet, waren es in der zuletzt registrierten Woche vom 18. bis 24. Juli nur rund 890.000 Tests. Auch eine aktuell hohe Positivrate von etwa 54 Prozent, also der Anteil positiver Ergebnisse an allen durchgeführten Tests, deutet darauf hin, dass sich weniger Menschen vorsorglich testen lassen. Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutsche  n Städtetages, erwartet, dass bei Umsetzung der Infektionsschutz-Reform wieder mehr Neuinfizierte einen PCR-Test bei ihrem Hausarzt oder in einem Testzentrum durchführen lassen. Wer keinen Genesenen-Nachweis hat, werde wieder einen tagesaktuellen Schnelltest benötigen, um bei einer eventuellen Pflicht die Maske absetzen zu dürfen. „Auch deswegen brauchen wir im Herbst wieder kostenlose Bürgertests für alle“, sagte Dedy dem RND. Das gelte umso mehr, da Betreiber von Testzentren wegen der Uneinigkeit zwischen Kassenärzten und Gesundheitsamt seit dieser Woche keine Abrechnungen mehr vornehmen können, betonte Dedy. „Es steht zu befürchten, dass wir in den kommenden Wochen eine Schließungswelle bei Testzentren erleben und viele Menschen keinen wohnortnahen Zugang zu Testmöglichkeiten mehr haben“, warnte der Städtetagschef.

Hausärzte mahnen mehr vierte Corona-Impfungen an

Die deutschen Hausärzte haben an ältere Bevölkerungsgruppen appelliert, sich ein viertes Mal impfen zu lassen. „Die Empfehlung der Ständigen Impfkommission gibt den Rahmen vor, an dem sich die Hausärzte orientieren. Die Stiko-Empfehlung sagt, dass die vierte Impfung aktuell für Ältere und Hochgefährdete empfohlen wird“, sagte der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, der „Rheinischen Post“. „Der Fokus sollte daher jetzt auf den Gefährdeten liegen, gerade auch weil sich bisher deutlich zu wenige von ihnen zu einer vierten Impfung entschlossen haben“, sagte Weigeldt. Während die Stiko die vierte Impfung ab 70 empfehle, habe die Europäische Union die Empfehlung auf alle ab 60 ausgeweitet. „Die Impfung ist am Ende des Tages eine Entscheidung zwischen Patient und Arzt“, sagte Weigeldt. Dabei müsse immer die individuelle Situation des einzelnen Patienten betrachtet werden. „Ob jemand 69 oder 70 ist, wird dabei natürlich nicht die alles entscheidende Frage sein, denn am 70. Geburtstag wird ja kein Schalter umgelegt“, sagte Weigeldt. „Ein jüngerer Patient mit Vorerkrankungen kann gefährdeter sein als ein 70-Jähriger, der topfit ist.“ Daher sei es so wichtig, dass sich die Patienten an jemanden wenden können, der sie und ihre Krankheitsgeschichte kennt. Das spreche auch dafür, die Impfungen in den Hausarztpraxen und nicht in den Impfzentren zu machen, hob der Mediziner hervor und warnte vor einer Impflücke. „Ein Punkt, der in der öffentlichen Diskussion aktuell ein wenig übersehen wird, ist, dass Millionen von Menschen noch die erste beziehungsweise die dritte Impfung fehlt“, sagte der Verbandschef. „Wir brauchen daher eine positive Impfkampagne – nicht nur für die vierte Impfung, sondern auch, um die Impflücken bei der ersten und der dritten Impfung zu schließen.“ +++