Es geht nicht ohne Tönnies & Co.!?

Bio-Branche abhängig von großen Schlachtkonzernen

Heinrich Rülfing Bio-Landwirt und Vorsitzender Akionsbündnis Deutsche Bioschweinehalter. Foto: Jens Brehl

Das System der Fleischindustrie ist implodiert. In den Ställen konventioneller Schweinemäster stauen sich seit Monaten Hunderttausende Tiere. Viele Landwirte wissen nicht mehr ein und aus. Wegen der Corona-Pandemie mussten und müssen große Schlachthöfe zeitweise schließen oder können nur noch deutlich weniger Tiere schlachten. Ganz anders in der ökologischen Landwirtschaft: Bei Mästern von Bio-Schweinen läuft das Geschäft. Doch auch die Bio-Branche ist in weiten Teilen abhängig von den großen Schlachtkonzernen. Über diese Verflechtungen berichtet der freie Journalist Jens Brehl in seinem neuen Buch „Mitgefangen, mitgehangen – Bio und das große Schlachten“. Tönnies ist Deutschlands größter Hersteller von Bio-Schweinefleisch – ausgerechnet das Unternehmen, das in den vergangenen Jahren zum Sinnbild für die Probleme der Fleischindustrie geworden ist. Seit vielen Jahren sind teils mangelhafte Sozialstandards für Mitarbeitende in der Branche ein großer Knackpunkt, auch wenn die Praxis der umstrittenen Werkverträge nun vom Tisch ist. Für bewusste Bio-Konsumenten ist es schwer vorstellbar, dass Konzerne wie Tönnies, Westfleisch, Vion & Co nicht nur den gesamten Markt weitgehend beherrschen, sondern sich als aktive Gestalter der ökologischen Agrarwende sehen.

Bio-Hof aus Rhede in Nordrhein-Westfalen: Ohne Schlachtkonzerne geht es nicht

„Als Vorsitzender des Aktionsbündnisses Bioschweinehalter Deutschlands habe ich Tönnies immer als verlässlichen Partner wahrgenommen und kann anderen Betrieben nur empfehlen, mit dem Unternehmen zusammenzuarbeiten“, sagt Heinrich Rülfing. Sein Bio-Betrieb im nordrhein-westfälischen Rhede gehört zu den großen der Branche: 2.500 Mastschweine kann er jährlich liefern. „Damit Bio weiter wachsen kann, brauchen wir den Lebensmitteleinzelhandel und die Discounter. Bio-Metzgereien können sie nicht im großen Stil beliefern. Auf den Punkt gebracht: Ohne die großen Schlachtbetriebe können wir bei Bio nicht in die Breite gehen.“ Doch auch Rülfing möchte sich Unabhängigkeit bewahren und demnächst zusätzlich direkt auf dem eigenen Hof schlachten.

Erzeugerschlachthof Fulda in Hessen: Von Bürgern und Landwirten erhalten

Die ökologische Landwirtschaft ist besonders auf nahe gelegene und bio-zertifizierte Schlachtstätten angewiesen – Tiertransporte sollen maximal 200 Kilometer zurücklegen. In Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern fehlen diese Strukturen weitgehend. Auch der Schlachthof im hessischen Fulda stand vor dem Aus. Bürger und Landwirte haben ihn 2019 gerettet, seitdem firmiert er als Erzeugerschlachthof. Geschäftsführer Sven Euen weiß, was verloren ist, wird selten wieder aufgebaut. „Wir müssen keine großen Gewinne erwirtschaften, sondern benötigen nur genügend Mittel, um unsere Hauptaufgabe erfüllen zu können: den Standort erhalten“, erklärt er die neu gewonnenen Vorteile.

Niedersachsen: In jedem Landkreis ein eigener Schlachthof?

Derweil plädiert Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) für einen Schlachthof in jedem Landkreis. Politisch ist das eine Rolle rückwärts, schließlich ist die Ära der kommunalen Schlachthöfe seit Jahrzehnten Geschichte. Sie waren oft nicht ausgelastet, fuhren Verluste ein und konnten mit modernen und zusehends erstarkenden Konzernen nicht konkurrieren. Bleibt die Frage, wie diese geforderten Strukturen nicht nur aufgebaut, sondern vor allem auch nachhaltig wirtschaftlich betrieben werden können. In einem Punkt sind sich die Akteure aus Politik und Bio-Branche weitgehend einig: Ein „weiter so“ der Fleischbranche soll es – wieder einmal – nicht geben. In der Vergangenheit konnten diverse Skandale an den Strukturen nur wenig rütteln. „In Sachen Tierwohl und Nachhaltigkeit hat die ökologische Landwirtschaft oft die Nase vorn: Mehr Platz für Tiere, Futter vom eigenen Hof, keine Gülle-Überschüsse dank Flächenbindung. Doch beim Schlachten ist Bio weitgehend Teil des Systems – für die Glaubwürdigkeit ist das ein Spiel mit dem Feuer.“, sagt Buchautor Jens Brehl. „Bleibt die Frage, inwieweit die Bio-Branche die Schlachtindustrie ökologisch nachhaltiger und für alle Beteiligten sozial gerechter gestalten kann. Denn vieles ist nicht mit den ursprünglichen Werten vereinbar, mit denen die ersten Bio-Pioniere begonnen haben die Welt zu verändern.“ „Mitgefangen, mitgehangen – Bio und das große Schlachten“ gibt es als E-Book und ist erhältlich in allen E-Book-Stores. +++ pm