Entstanden aus Gründen der Notwendigkeit – Ein Jahr „Fuldaer H!lfe“

Die Bedarfe der Menschen, sind jedoch unterschiedlich...

Seit März 2018 komplettiert die „Fuldaer H!lfe“ zusammen mit der „Darmstädter H!lfe“ (Gründung im April 2018) die aktuell acht Opferberatungsstellen in Hessen. Am 10. November 2017 vom Hessischen Justizministerium ins Leben gerufen, erfolgte mit der Gründung des Vereins „Opfer- und Zeugenhilfe Fulda“ – kurz: „Fuldaer H!lfe“ – der hessenweite Lückenschluss staatlich unterstützter Netzwerkarbeit mit dem Angebot zur Information, Beratung und Begleitung von Menschen, die Opfer und / oder Zeugen von  Straftaten geworden sind. fuldainfo.de hat die Beratungsstelle in ihrer Wirkungsstätte ein Jahr später besucht und mit der Leiterin, Petra Hohmann, Diplom-Sozialpädagogin und Systemische Beraterin, sowie Carsten Fischer, ebenfalls Diplom-Sozialpädagoge und Systemischer Berater, gesprochen.

Kurze Zeit nach der offiziellen Eröffnungs- und Einweihungsfeier im März 2018 hat die „Fuldaer H!lfe“ Mitte April 2018 im Gerloser Weg 20 in Fulda im 1. Stock des Gebäudekomplexes „Zentrum Vital“, in den Räumlichkeiten, die zuvor noch vom Malteser Hilfsdienst in Fulda angemietet worden waren, als Opferberatungsstelle offiziell ihre Arbeit aufgenommen. Den Startschuss hierfür gab das Hessische Justizministerium. „In Hessen gibt es in allen Regionen – teils schon seit über 30 Jahren – ‚Hessische Opferhilfevereine‘. Mit Süd- und Osthessen gab es – wie es das Hessische Justizministerium immer benannte – zwei sogenannte ‚weiße Flecken‘ und so kam es, dass es auch für diese Regionen (Süd- und Osthessen) diese Beratungsstellen geben sollte“, erzählt uns Petra Hohmann. Die Namensgebung der Opferberatungsstellen sind mit der Ausnahme von Frankfurt am Main (Trauma- und Opferzentrum Frankfurt am Main e.V.) überall gleich: „Gießener H!lfe“, „Hanauer H!lfe“, „Kasseler H!lfe“, etc.

Hessenweit gibt es von den, vom Hessischen Justizministerium initiierten Beratungsstellen acht Opferberatungsstellen: Gießen, Hanau, Kassel, Wiesbaden, Frankfurt, Limburg-Weilburg, Darmstadt und ab letztem Jahr auch im osthessischen Fulda. „Hinsichtlich des Zuständigkeitsbereiches ist die „Fuldaer H!lfe“ aber nicht ausschließlich für ihren gleichnamigen Landkreis zuständig, sondern auch noch für den angrenzenden Landkreis Hersfeld-Rotenburg“, sagt Petra Hohmann. „Die Opferberatungsstellen orientieren sich an ihren jeweiligen Landgerichtsbezirken. Grundsätzlich ist es aber so, dass Menschen aus der ganzen Republik zu uns kommen können, lediglich die generelle Zuständigkeit ist eingegrenzt.“ So arbeitet die „Fuldaer H!lfe“ bis in den Vogelsbergkreis hinein, wo sie an die „Gießener H!lfe“ angrenzt. „Dies ist jedoch keine Konkurrenz, sondern eine Kooperation“, stellt Petra Hohmann heraus und fügt ergänzend dazu: „Wir sind diesbezüglich in einem guten Kontakt und auch sehr transparent miteinander.“

Die von der „Fuldaer H!ilfe“ neu bezogenen Räumlichkeiten haben eine einladend warme Farbgebung, durch die sie eine angenehme und freundliche Atmosphäre ausstrahlen. „Wer kommt in der Regel zu Ihnen und wie lange dauert so ein Besuch?“, wollten wir wissen. „Grundsätzlich suchen uns Menschen auf, die Opfer oder Zeuge von Straftaten geworden sind, die Gewalterfahrungen gemacht haben und die dadurch traumatisiert sind“, so Hohmann. „Traumatisiert zum Beispiel durch schwere (Verkehrs-)Unfälle oder sonstigen Vorkommnissen. Aber vorwiegend kommen Menschen zu uns, die Opfer von traumatischen Erlebnissen geworden sind, vorwiegend Straftaten, die mit Gewalt zusammenhängen.“ Mobbing, Stalking, Verabreichung von KO-Tropfen mit anschließender sexualisierter Gewalt, häusliche und sexualisierte Gewalt, aber auch Fälle von Einbruch, Belästigung, Drohung, Nötigung und Diebstahl zählen hier zu häufigen Vergehen.

„Die Bedarfe die Menschen haben, die zu uns kommen, sind jedoch unterschiedlich“, stellt Carsten Fischer, der bei der „Fuldaer H!lfe“ als Berater arbeitet, heraus. „Grundsätzlich bietet die ‚Fuldaer H!lfe‘ drei Säulen an: Die Information, die Beratung und die Begleitung. Dabei ist das Angebot unserer Opferberatungsstelle vielfältig. Es kann beispielsweise damit beginnen, dass Menschen, die zu uns kommen, sich erst einmal orientieren oder informieren müssen, darüber wie zum Beispiel: was gibt es überhaupt für Möglichkeiten? Welche Möglichkeiten habe ich? Der erste Schritt bei einer Straftat, die mir wiederfahren ist, beginnt normalerweise mit einer Anzeige auf dem Polizeipräsidium; doch will ich das überhaupt? Fragen wie: was kommt dann, wenn ich mich für eine Anzeige entscheide, auf mich zu? Sowohl an Bürokratie als auch an psychischer Belastung? spielen eine Rolle; gleiches gilt für die Zeiträume, die in manchen Fällen bis zu einem Jahr dauern können. Darüber muss ich mir als Klient, als Klientin im Klaren sein.“

„Wir haben diesbezüglich keine Auflagen von unserem Arbeitgeber, wie lange ein Beratungsprozess in Anspruch nehmen darf; dieser kann sich – sofern die Notwendigkeit besteht – über Jahre hinziehen. Wir sind dahingehend, wie viele Beratungsgespräche wir anbieten oder führen dürfen, nicht eingeschränkt. Auch ist die Beratung nicht daran gebunden, ob es ein aktueller Anlass ist, der die Klienten zu uns führt. Das kann durchaus eine Traumatisierung sein, die sich vor vielen Jahren ereignete und die durch irgendein Ereignis, ein Erleben wieder reaktiviert wurde“, so Hohmann.

Die „Fuldaer H!lfe“ unterliegt, wie alle anderen Opferberatungsstellen in Deutschland, dem Datenschutz. Das heißt die Beratung bei der „Fuldaer H!lfe“ ist vertraulich und anonym sowie politisch und konfessionsunabhängig. Eine Beratung kann telefonisch oder vor Ort im persönlichen Gespräch erfolgen. In Ausnahmefällen finden Besuche in Kliniken oder sonstigen Einrichtungen statt. Das Angebot der „Fuldaer H!lfe“ ist kostenlos.

Die Systemischen Berater bei der „Fuldaer H!lfe“ leisten keine aufdeckende Arbeit, sondern arbeiten lediglich stabilisierend und ressourcenorientiert. Ein Austausch über Klienten mit örtlichen Netzwerkpartnern wie beispielsweise pro familia Fulda oder der Sozialdienst Katholischer Frauen – kurz: SkF – findet nicht statt. Hierzu Petra Hohmann: „Unsere Arbeit ist in sich erst einmal abgeschlossen. So können wir unsere Klienten nur darauf hinweisen, welche Beratungsstellen es über die „Fuldaer H!lfe“ hinaus in Fulda sonst noch gibt. Die Entscheidung, ob die Klienten von einem anderen Angebot Gebrauch machen möchten, die ist den Klienten selbst überlassen. Wir sind ausschließlich dafür da, damit Betroffene zu einer Entscheidung finden; das heißt, wir arbeiten klientenzentriert: das, was notwendig ist, bieten wir an. Auch ein wichtiger Punkt ist, dass wir an dieser Stelle nicht selbst pro aktiv werden, sondern der Klient für sich selbst entscheidet, ob er uns aufsucht oder nicht.“ Wann sollte man sich spätestens dazu entscheiden, die „Fuldaer H!ilfe“ aufzusuchen?, wollten wir wissen. „Der Punkt, an dem man sich spätestens Hilfe und Beistand holen sollte, ist der, an dem man feststellt, ich entwickle ein vermeidendes Verhalten“, sagt Petra Hohmann. Gibt es ein Beispiel, an dem Sie festmachen können: hier sind wir an unsere Grenzen gestoßen? „Wenn wir sehen, dass der Klient oder die Klientin therapeutische Hilfe benötigt, dann verweisen wir die Klienten weiter. Hier gibt es die Möglichkeit über das Opferentschädigungsgesetz – kurz: OEG -, dass ein Klient oder eine Klientin bei einer Gewaltstraftat relativ schnell auch traumatherapeutische Unterstützung bekommt. In solchen Fällen geben wir unseren Klienten Broschüren mit, worin sie Möglichkeiten aufgezeigt bekommen – entweder über das Versorgungsamt oder das OEG – hier schnell therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen zu können“, verdeutlicht Carsten Fischer.

Eine wichtige Säule und damit ein wichtiges Angebot der „Fuldaer H!lfe“ für Opfer und / oder Zeugen ist die der Zeugenbegleitung. Hier haben Betroffene die Möglichkeit, wenn es zu einer Gerichtsverhandlung kommt, auf Wunsch begleitet zu werden. Hier haben Betroffene die Möglichkeit, die Wartezeit gemeinsam mit einem Berater der „Fuldaer H!lfe“ entweder „in einem geschützten Rahmen“ im Zeugenzimmer zu überbrücken oder aber auch in Absprache mit dem vorsitzenden Richter von einem Berater direkt begleitet zu werden.

Was müsste geschehen, um Menschen, die sich davor schämen, weil sie möglicherweise Angst haben, gesehen zu werden, den Zugang zur „Fuldaer H!lfe“ zu erleichtern? „Noch niedriger, wie die Hürde bei uns genommen werden muss, kann man sie eigentlich gar nicht mehr stellen“, sagt Carsten Fischer. „Es müssen zum Beispiel keine Anträge ausgefüllt werden, es muss nichts beantragt oder genehmigt werden. Die Menschen können auch einfach so bei uns vorbeikommen und klingeln. Oft ist es aber auch so, dass jemand auch erst einmal anruft und sich erkundigt und für sich am Telefon entscheidet: ist mir mein Gegenüber sympathisch? Und dann rufen diese Menschen vielleicht ein zweites oder drittes Mal an. Der vierte Kontakt ist dann meistens sogar schon ein persönliches Gespräch in unserer Wirkungsstätte. Aber die erste Hürde zur Kontaktaufnahme muss nun erst einmal genommen werden; die können wir unseren Klienten nicht abnehmen.“ „Der Vertrauensvorschuss, der uns als Opferberatungsstelle – und darin liegt ja auch die Professionalität – entgegengebracht wird, ist zu hundert Prozent gegeben und wird von uns auch zu hundert Prozent erfüllt; wir arbeiten auf jeden Fall vertraulich und anonym, wobei hier der Akzent auf anonym nach außen hin liegt, aber nicht im Gespräch“, ergänzt Petra Hohmann. Dennoch hadern viele Opfer und Zeugen mit sich, sich öffentlich ein Flyer der „Fuldaer H!lfe“ einzupacken. Zu groß ist die Angst und die Scham beobachtet zu werden. In bestimmten Fällen werden Flyer und Infobroschüren der „Fuldaer H!lfe“ daher auch in ärztlichen Sprechstunden ausgegeben.

Die Fuldaer H!lfe ist aus einer Notwendigkeit heraus entstanden. Das belegen auch die Fallzahlen. Allein in 2018 (Daten ab Mitte April erhoben!) wurden durch die Systemischen Berater bei der „Fuldaer H!lfe“ (die Beratungsgespräche wurden mit Petra Hohmann und Carsten Fischer geführt) insgesamt 230 Beratungsgespräche mit rund 70 Klienten geführt; hinzu kommen 35 neue Kontakte in 2019 (Daten ab Januar bis Mitte April erhoben!). Die Zahlen zeigen, dass der Bedarf besteht und die Opferberatungsstelle angenommen wird. Dennoch gilt es, die „Fuldaer H!lfe“ in der Bevölkerung noch weiter bekannt zu machen.
Wir wollten wissen, wer sind die Gesichter der „Fuldaer H!lfe“, die den rund 105 Betroffenen in der Vergangenheit beistanden.

Carsten Fischer, gebürtig aus Fulda, war viele Jahre in der Jugendhilfe – davon viele Jahre in der stationären Jugendhilfe – sowie einige Jahre in der Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH) tätig. Vor einem Jahr schloss er eine Weiterbildung zum Systemischen Berater ab; derzeit durchläuft er eine Ausbildung in Psychosozialer Prozessbegleitung. Er ist diplomierter Sozialpädagoge. Er bildet sich permanent berufsorientiert weiter.

Petra Hohmann, die Leiterin der Fuldaer Opferberatungsstelle, stammt ebenfalls gebürtig aus Fulda. Hohmann kommt aus der Arbeit mit psychisch und psychiatrisch erkrankten Menschen. Viele Jahre war sie an der hiesigen Hochschule (HS) Fulda tätig. Hier verantwortete sie am Fachbereich Sozialwesen die psychosoziale Beratung (Administration, Organisation, etc.). Parallel zu der Arbeit an der Hochschule betreute sie beim Landkreis Fulda als Ehrenamtskoordinatorin diverse Ehrenamtsprojekte. Daneben war sie bei pro familia Fulda in der Paar- und Sexualberatung tätig. Zuvor durchlief sie ein Studium der Wirtschaft sowie Sozialen Arbeit. Sie kommt aus dem Beratungssektor. Petra Hohmann ist Systemische Beraterin, diplomierte Sozialpädagogin. Im Moment durchläuft sie eine Ausbildung im Fach „Psychotraumatologie“. Berufsorientiert bildet auch sie sich permanent weiter.

Neben Petra Hohmann und Carsten Fischer komplettiert eine Verwaltungskraft das Team der „Fuldaer H!lfe“. Sofern Anrufe nicht von Petra Hohmann und Carsten Fischer persönlich entgegengenommen werden können, nimmt sie die Anrufe entgegen. An den Wochenenden und Feiertagen ist ein Anrufbeantworter geschaltet. Termine zu Beratungsgesprächen werden „zügig“ vergeben und spätestens am Folgetag – Wochenenden bilden die Ausnahmen – zurückgerufen.

Das Team der „Fuldaer H!lfe“ hat es sich auferlegt, Termine zum Erstgespräch innerhalb einer Woche bis zu 10 Tagen zu vergeben. Hier orientiert sich die „Fuldaer H!lfe“ auch nach den zeitlichen Möglichkeiten der Klienten. Wenn ein Klient, eine Klientin ein Beratungsgespräch erst nach der Arbeit wahrnehmen kann, so wird dies in Ausnahmefällen von der Opferberatungsstelle realisiert.

Die „Fuldaer H!lfe“ finanziert sich über das Hessische Justizministerium sowie den Förderverein.

Der „Fuldaer H!lfe“ stehen vor: Polizeipräsident Günther Voss, Polizeipräsidium Osthessen (PPOH), Anne Fleischmann, Systemische Einzel- und Paarberaterin in eigener Praxis und Oberstaatsanwalt Gert-Holger Willanzheimer, Staatsanwaltschaft Fulda. +++ ja