Ein Stimmungsbild vom SPD – Parteitag in Bonn

Von Silvia Hillenbrand

Fulda/ Bonn. Wer immer glaubt, der SPD Zerrissenheit bescheinigen zu müssen, hat nicht hingehört. Natürlich, es gab zwei Lager, diejenigen die die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen befürworten und diejenigen, die diese Verhandlungen ablehnen. Ich unterstelle, und die etwa 50 Redebeiträge haben genau das gezeigt, keiner der Delegierten machte sich diese weitreichende Entscheidung leicht. Manfred Schaub, der Vorsitzende der SPD Hessen Nord, bezeichnete die Entscheidung als schwer oder sehr schwer. Und damit hatte er Recht.

Das, was uns auszeichnet ist, dass wir miteinander respektvoll und im Bewusstsein unserer Verantwortung für dieses Land, aber auch in Verantwortung für unsere Sozialdemokratische Partei um Positionen ringen. In dieser Partei bin ich fast 50 Jahre Mitglied, habe Höhen und Tiefen erlebt, war mitunter am Hadern und ein anderes Mal voller Stolz. Und genau das habe ich wieder einmal erlebt. Unabhängig davon, wie es nun weiter geht, dieser Parteitag hat mich wieder einmal stolz gemacht auf die SPD, die andere Meinungen aushält, die Persönlichkeiten achtet und zulässt, leidenschaftlich aber mit großer Ernsthaftigkeit diskutiert und letztendlich demokratisch entscheidet. Martin Schulz bezeichnete die SPD als größte Mitmachpartei in Deutschland: „Demokratie lebt von der Debatte, ist Bewegung und Energie“.

Und genau das zeigte die etwa 5-stündige Debatte. Sie zeigte aber auch ganz deutlich, dass wir längst vor einem Generationswechsel in der gesellschaftspolitischen Debatte stehen und dass ein „Weiter so“ den längst notwendigen Aufbruch in Europa und in Deutschland verhindern wird. Damit wird die SPD sich ebenso auseinandersetzen. Den Willen zur Erneuerung äußersten fast alle Redner. Ob der Bundesparteitag tatsächlich „Geschichte schreibt“, wird man erst im Nachhinein wissen. Neben dieser „Erneuerungsdebatte“, die sich nur unwesentlich auf personelle Erneuerungen bezog, aber oft die Frage beinhaltete, ob man das eigene Profil eher in Regierungsverantwortung oder in der Opposition schärfen könne, ging es natürlich um die Glaubwürdigkeits- und Vertrauensfrage. Der Zweifel sitzt tief, dass eine weitere große Koalition einen solchen Prozess fördern könne.

Allein die Reaktionen innerhalb der Union in den letzten Tagen, wo vom Zwergenaufstand die Rede war, zeigt die eigene Nervosität innerhalb der Union, aber vor allem zeigen sie, dass die Augenhöhe als notwendige Voraussetzung einer erneuten GoKo gar nicht mehr gegeben zu sein scheint. Inhaltlich hat der Leitantrag, über den die Delegierten abstimmen, Punkte aufgenommen, die in die Koalitionsverhandlungen mit einbezogen werden sollen. Das Anliegen der SPD um mehr Sicherheit im Arbeitsleben, für mehr Gerechtigkeit in den Sozialsystemen und für eine humane Flüchtlingspolitik ist auch für meine Begriffe die Voraussetzung, um überhaupt in weitere Verhandlungen gehen zu können. Aber die Unsicherheit, reicht das oder reicht es nicht, wurde immer wieder deutlich. Wenn man die Unionsvertreter jetzt hört, dann werden meine Zweifel bestätigt, dass CDU/CSU gar nicht bereit für Nachverhandlungen sind.

Die gegensätzlichen Meinungen innerhalb dieses Parteitages wurden am deutlichsten repräsentiert von Andrea Nahles aus der Verhandlungskommission und Kevin Kühnert, Vorsitzender der Jusos: Nahles in einer leidenschaftlich geprägten Rede, die niemand kalt lässt, und die die ganze Kraft dieser Frau spürbar werden lässt und Kühnert, dieser Hoffnungsträger vieler, der unter frenetischem Beifall seine Position und die vieler junger Menschen vorträgt, zeigt auch die Ernsthaftigkeit, mit der für die jeweilige Position geworben wird. Erfrischend die Äußerung von Kühnert zu Dobrindts Äußerung: „Heute einmal ein Zwerg sein, um künftig wieder Riesen sein zu können“. Wird die Abstimmung, die eine denkbar knappe Mehrheit pro Koalitionsverhandlungen bekommt, diesem Wunsch gerecht?

Nicht wenige sagen, dieser Parteitagsbeschluss ist die Brücke für einen erneuten Versuch, in Regierungsverantwortung die sozialen Verbesserungen, die die Bürger/innen, das Land und Europa brauchen, erreichen und weiterentwickelt werden können. Es wird sich zeigen, ob die Zustimmung tatsächlich diese Chance ist, auf die die Befürworter hoffen. Meine Zweifel bleiben, ob diese Brücke trägt und ob sie bei der Mitgliederbefragung, die vom Grundsatz her ein einzigartiger innerdemokratischer Prozess bedeutet, hält. +++