Direktkandidaten im Kreuzverhör

Podiumsgespräch zur Bundestagswahl

Die Direktkandidaten der CDU Michael Brand MdB, der SPD Birgit Kömpel, Vorsitzende des SPD-Unterbezirkes Fulda und MdB a.D., und der Grünen Gianina Zimmermann für die Bundestagswahl am 26. September nahmen gestern Abend an einer Podiumsdiskussion zu aktuellen Themen des Katholikenrates und der Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände im Bistum Fulda auf dem Azubikampus PINGS teil. Ziel der Veranstaltung war es, „politische Positionen in den Mittelpunkt zu stellen und Fragen aufzuwerfen, deren Beantwortung für Christen eine Wahlentscheidung begründen können“, so der Vorsitzende des Katholikenrates Fulda Steffen Flicker. Die Moderation übernahm Pax Christi-Vorsitzende und Mitglied im Fuldaer Katholikenrat Stefanie Wahl.

Breiter Raum auf der Podiumsdiskussion nahm das Thema Afghanistan aus dem Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, ein. Mit Blick auf die jüngsten Ereignisse, auf das Ende des Militäreinsatzes sowie des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan führte Wahl eingangs zur Diskussion ein Zitat aus der Enzyklika von Papst Franziskus „Fratelli tutti“, das 2020 veröffentlicht wurde, an. „Jeder Krieg hinterlässt die Welt schlechter als er sie vorgefunden hat. Krieg ist ein Versagen der Politik und der Menschheit. Eine beschämende Kapitulation. Eine Niederlage gegenüber den Mächten des Bösen.“

„Vor dem Hintergrund auf das, was wir jetzt gerade in Echtzeit erleben und sehen mussten, ist das fast ein bisschen prophetisch und gleichzeitig auch sehr tragisch“, sagte die Pax Christi-Vorsitzende. Wahl weiter: „Viele Fragen, die im Moment im Raum stehen auf Grund dieses dramatischen Endes des Auslandeinsatzes und auch der Evakuierungsaktion. Was können wir mit den 40.000 Zurückgelassenen und den darüber hinaus gefährdeten Menschen in Afghanistan tun? Was muss getan werden? Welche Lehren sind aus dem Desaster, was in Afghanistan geschehen ist, zu ziehen? Sind Auslandseinsätze das richtige Mittel, um Frieden und Stabilität in einer Region zu fördern?“

„Birgit Kömpel, Sie haben in Ihrer Zeit als Bundestagsabgeordnete den Verlängerungen der Bundeswehreinsätze in Afghanistan zugestimmt. Waren Sie vom Erfolg des Einsatzes wirklich überzeugt und würden Sie im Falle eines erneuten Einzugs in den Bundestag einer Verlängerung von Bundesweheinsätzen wie beispielsweise in Mali zustimmen?“

Diese Frage wurde von der SPD-Direktkandidaten wie folgt beantwortet: „Das kann ich heute noch nicht sagen. Eine schwierige Entscheidung war damals bezugnehmend Syrien als wir im Bundestag dafür gestimmt haben, dass wir Mittel zur Selbstverteidigung an die Peschmerga geschickt haben. Ich bin damals mit dem Gefühl nach Berlin gefahren, dass ich da nicht zustimmen kann. Im Wissen, dass in diesem Land schon so viele Waffen sind und wir da nicht noch mehr hin liefern können. Wir haben uns dann in der Fraktionssitzung mit dem damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier dazu beraten, der sagte: Die Menschen dort müssen sich zumindest verteidigen können. Wir haben gar keine andere Wahl als sie zu unterstützen und ihnen die Mittel zur Verfügung zu stellen. Sie müssen sich zumindest verteidigen können. Dieser Satz hat mich berührt und mich zu einer anderen Entscheidung geführt. Natürlich habe ich damals dem weiteren Einsatz in Afghanistan zugestimmt. Mir ging es darum, dass Frauen weiterhin in Sicherheit leben können und das Mädchen eine Schule besuchen können. Und das haben wir damit erreicht. Das es jetzt wieder anders ist, ist tragisch. Ich glaube, dass hier auch Fehler gemacht wurden. Aber nicht nur Fehler vonseiten der Deutschen Regierung, sondern Fehler des gesamten Westens. Für die Zukunft muss man sich gut überlegen, ob solche Einsätze wirklich sinnvoll sind und solche Entscheidungen vorab auf den Prüfstand stellen.“

„Herr Brand, Sie haben sich da ja schon positioniert und unter anderem gesagt: Uns ging es darum, Terror aus Afghanistan heraus zu stoppen. 20 Jahre lang ist das gelungen. War der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan aus Ihrer Sicht erfolgreich?“

 Michael Brand MdB: „Er war nicht umsonst. Weil wir Risiken hätten – nicht nur für Afghanistan, sondern auch für uns in Deutschland und im Westen insgesamt durch das Terrornetzwerk Al-Kaida und Taliban, die ein Kalifat errichten wollten – nicht nur in Afghanistan, sondern ein weltweites Kalifat. Das darf man nicht geringschätzen, dass wir dort Terrornester bekämpft haben, und das im Übrigen nicht als Bundesrepublik Deutschland, sondern auf Einladung der afghanischen Regierung mit über 40 Nationen. Insofern ist die Frage nach Auslandseinsätzen ja immer eine, die im Kern von Abstimmungen eines Abgeordneten betreffen, denn sie sind keine Entscheidungen wie jede andere. Man weiß, man hebt seine Hand dafür, dagegen oder enthält sich der Abstimmung und weiß, dass man sich auch mit dieser Entscheidung schuldig machen kann und das man Leben der Soldaten riskiert. Als Christ kann ich mich schuldig machen durch Entscheidungen, aber auch durch nicht Handeln. Das war die Abwägung bei Afghanistan und die war sehr eindeutig ja parteiübergreifend in Deutschland bis auf wenige Ausnahmen, die gesagt haben: Wir müssen diese Verantwortung annehmen und wir müssen diese Terrorgefahr, die von Afghanistan, von Al-Kaida und Taliban ausgeht, stoppen und wir wollen gleichzeitig auch dafür sorgen, dass wir dort die Frauen an Universitäten, an Schulen unterstützen, dass diese Unterdrückung aufhört. Wenn man sieht, dass es heute Proteste von mutigen Frauen und Männern gab und gibt, so muss man auch sehen, dass dieser Einsatz nach 20 Jahren auch Früchte getragen hat und der Funke der Freiheit in Afghanistan wahrgenommen wurde. Keiner der Beteiligten konnte erwarten, dass die afghanischen Truppen überhaupt nicht kämpfen oder dass der Präsident innerhalb von wenigen Stunden das Land verlässt.“

Frau Zimmermann, die Grünen galten lange als Friedenspartei. Spätestens mit der ersten Regierungsbeteiligung und der Zustimmung zum Kosovo-Einsatz. Da hat sich die Zuschreibung zur Friedenspartei zumindest ein wenig erübrigt und auch der Afghanistan-Einsatz begann ja unter Rot/Grün. Welche Lehren ziehen die Grünen daraus? Welche Lehren ziehen Sie aus dem Afghanistaneinsatz?

 Gianina Zimmermann: „Ich glaube, wir sind uns einig darüber, dass dieser Einsatz richtig war. Dass es so gekommen ist, wie es gekommen ist, ist verschiedenen Ursachen geschuldet. Er hat etwas gebracht. Der Fehler ist, dass nicht früher etwas passiert ist. Es gab genügend Hinweise zur Situation. Nicht nur wir Grüne haben im Juli im Deutschen Bundestag einen Antrag gestellt mit dem Hinweis, darauf zu achten, mit der Vorwarnung, dass da etwas Böses passiert. Niemand hat hingehört. Ich glaube, der Fehler lag darin, dass man hier nichts angegangen ist. Ich meine im Hinblick von Technologie, von Fortschritt. Man hätte dort Hilfe zur Selbsthilfe leisten müssen. Was wir getan haben, war im Grunde richtig und wichtig, nur man hat damit zu früh aufgehört, womit der Faden gerissen ist und das war der Nährboden für Terrorismus. Man hat sich nicht auf die Menschen vor Ort, auf die Institutionen verlassen. Mich bewegen die Bilder, die die letzten Tage und Wochen durch die Medien gegangen sind, sehr. Ich bin eigentlich nicht emotional; als Krankenschwester ist man einiges gewohnt. Aber diese Bilder gehen einem unter die Haut. Eine Nachricht, die mich ehrlich gesagt erschrocken hat, war, als jüngst durch die Medien ging: Wir haben es geschafft, die Deutschen sind gerettet. Dieser Satz stößt bei mir auf Unverständnis. Wie können wir sagen, dass wir unsere Leute rausgeholt haben? Die Menschen, die uns jahrelang geholfen haben und sich in Gefahr gebracht haben – für diese Menschen hat das nicht gegolten. Die Menschen, die sich an die Flieger gehängt haben, das sind eigentlich unsere Heldinnen und Helden, unsere Helferinnen und Helfer in Not. Als Christ solidarisiere ich mich natürlich in aller erster Linie mit diesen Menschen, mit Menschen in einer Notsituation. Als Christ helfe ich natürlich Menschen in Not, ganz gleich, ob mir diese Menschen schon einmal geholfen haben. Man muss Menschen in Not grundsätzlich helfen. Das bewegt mich sehr.“ Ein weiteres, sehr komplexes Thema auf der Podiumsdiskussion war das Thema Klimaschutz. Hierzu Stefanie Wahl: „Nicht zuletzt die Flut hat dieses Thema noch einmal sehr in unser aller Bewusstsein gerückt. Es reicht anscheinend nicht aus, dass wir einzelne etwas tun; Es müssen auf politischer Ebene Entscheidungen getroffen werden, dass sich unsere Gesellschaft transformiert, sich verändert. Das ist eine der großen Zukunftsaufgaben, die uns bevorstehen.

Welches sind die Maßnahmen, die Sie sofort für den Klimaschutz ergreifen würden in der zukünftigen Regierung? Klimaneutralität und das Ziel – hier sind politische Entscheidungen getroffen worden, von denen wir abweichen. Wir fordern die Klimaneutralität bis 2035. Zu welchem Ziel stehen Sie und was ist dringlich zu tun in Bezug auf Erreichung der Klimaneutralität?

 Birgit Kömpel: „Unser Ziel ist es ganz klar – auch ich stehe hier als jemand, die abhängige Beschäftigte ist – im Bundestag die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu vertreten. In der Automobilindustrie ist es ganz oft so, dass die betrieblich mit bestimmt sind. Tariflöhne sind gute Löhne und an die müssen wir auch denken. Deswegen plant die SPD den Ausstieg aus der Kohle. Wir haben das beschlossen. Und auch den Ausstieg aus der Atomkraft. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir viel mehr Strom brauchen. Der saubere, grüne Strom, muss nun mal in den Süden transportiert werden. Und es gehört auch zur Wahrheit, dass wenn wir die Bahnstrecken ausbauen, dies für den einen oder anderen eine Lärmbelästigung geben wird. Wichtig ist dabei, dass unser Planungsverfahren schnell geht. Dass es eben nicht 30 bis 40 Jahre dauert, bis Fulda-Frankfurt gebaut wird. Die SPD ist vor allem auch darauf bedacht, dass wir die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mitnehmen und ihre Angst nehmen und sagen, wir möchten, dass Ihr die Chance bekommt, Euch weiterzubilden; Dass Ihr eben nicht nach 1,5 Jahren kein Arbeitslosengeld I mehr bekommt und in Hartz IV fallt, sondern, dass das für Euch mehr als drei Jahre geht. Die Maßnahme ist hier ganz klar, der Ausstieg aus der Kohle und aus der Atomkraft, aber wir brauchen mehr Strom. Der Staat muss jetzt anfangen, nämlich im ersten Jahr der neuen Legislaturperiode, vehement zu investieren. Wir brauchen 2 Prozent der Fläche unseres Landes auch für Windkraft und Erneuerbare Energien. Wir müssen Unternehmen unterstützen, dass sie sich auf Klimaneutralität umstellen können bis 2040.“

Gianina Zimmermann: „Was man jetzt schon weiß – und das wissen nicht nur wir Grüne -, ist, dass die Industrie teilweise viel weiter ist, als die Politik. Die Industrie hat schon jetzt viele Lösungen parat und steht bereits in den Startlöchern, um sich weiter entwickeln können, sei es in der Forschung oder was technologische Ansätze anbetrifft. Was das Planungsverfahren anbetrifft, da brauchen wir natürlich Vereinfachungen. Wir brauchen mehr Personal und Qualifizierung in den Betrieben. Bis 2030 müssen wir den Kohleausstieg geschafft haben. Dies auch vor dem Hintergrund, dass uns die Industrie alle krank macht. Nicht nur die Umwelt, sondern auch uns Menschen. Wir müssen bereits jetzt schon diese Arbeitsplätze sicherer machen, in dem wir sie nachhaltig gestalten und entsprechend der heutigen Zeit anpassen. Wenn es diese Technologie nicht mehr geben darf, weil sie Menschen krank macht, dann macht es auch keinen Sinn, an ihr festzuhalten. Was wird aus diesen Arbeitsplätzen? Wie schaffe ich es, Menschen zu qualifizieren? Das Festhalten an Kohle ist tückisch. Einerseits stellt sich die Frage, wie wir Strom gewinnen andererseits stellt sich die Frage, wie viel Strom wir tatsächlich verbrauchen. Beide Fragen sind nicht ganz losgelöst voneinander zu betrachten. Bezugnehmend des Stromverbrauchs müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, was jeder tun kann, um weniger zu verbrauchen. Da ist auch die Frage, welchen Strom verbrauche ich. Es gibt ja so viele Lösungen. Genau das wollen wir Grüne ausbauen. Öffentliche Gebäude, regenerative Energien. Das ist machbar und geht schnell. Man braucht hier tatsächlich Investitionen. Was wir in der letzten Zeit nicht hatten und diesen Fortschritt aber erlaubt hätten.“

Michael Brand MdB: „Das Ziel und da gibt es eine große Übereinstimmung durch die Parteienlandschaft im Deutschen Bundestag. Das Jonglieren mit Zahlen – der eine sagt 2045. Das ist das Ziel Klimaneutralität nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, was der Deutsche Bundestag als Ziel festgeschrieben hat. Da kann man dann anschließend sagen: Ich bin für 2040, ich bin für 2035 – das halte ich für wenig seriös, weil am Ende muss ich zwei Dinge zusammenbringen: Klimaschutz und gleichzeitig eben auch ein Turbo in der Technologieentwicklung und damit mit Arbeitsplätzen. Das ist das Entscheidende. Ich glaube nicht an die Verzichtsphilosophie. Das ist zwar nett, dass jeder erklärt, worauf er so verzichtet und ein Bewusstsein bildet – letztere halte ich wiederum für richtig -, aber ich glaube nicht daran, das Klimaproblem allein durch Verzicht lösen zu können, sondern der Schlüssel liegt darin, dass wir in Richtung Technologie – und das muss unser Anspruch sein für die nächsten Jahre und das kommende Jahrzehnt – Technologieförderung, Technologieoffenheit, Entwicklung von synthetischen Kraftstoffen, alternativen Antrieben, Grünem Wasserstoff, Elektromobilität und auch Verbrennungsmotor denken, dass wir den ganzen Mix in der Breite haben und daraus eine Win-win-Situation für unser Land machen. Wir waren immer das Land der Tüftler, des Erfindertums, um zu sagen: Wir wollen beides – wir wollen ehrgeizig sein beim Klimaschutz und wir wollen eine Win-win-Situation daraus machen, indem wir die Entwicklung machen und sie auch an andere exportieren. Zu glauben, dass wir das allein hier lösen würden, CO2-Ausstoß knapp 2 Prozent. Ich bin für ehrgeizige Ziele, aber hier würde ich sagen, da fehlt der Blick über den Tellerrand. Die anderen Nationen wie China, Indien, Lateinamerika, die sagen nicht, wir verzichten, wir bauen gerade neue Kohlekraftwerke. Wir haben gerade ein Gesetz entschieden im Deutschen Bundestag, den Kohleausstieg bis 2038 – das ist ein verdammt ehrgeiziges Ziel. Im Übrigen einer der Motoren hier war Armin Laschet, weil er einer der Ministerpräsidenten ist, wo Kohle abgebaut wird. Das heißt, eine Nation, die sich entscheidet, aus der Kernkraft auszusteigen, aus der Kohlekraft auszusteigen, es gibt keine andere Industrienation auf diesem Planeten, die muss natürlich beantworten, wo sie einsteigt und ein Turbo liegt eindeutig bei den Erneuerbaren Energien.“

Abschließend riefen die Direktkandidaten dazu auf, wählen zu gehen und ihr Kreuz bei einer demokratischen Partei zu machen. +++ ja