
Schon die Momente des Sich-Näherns sind speziell. Kastanien-Blätter liegen auf dem Weg. Es duftet danach. Die Reise auf den Linggplatz, Hersfelds gefühltes Epi-Zentrum, ist von Anspannung geprägt. Eine Spur Nervosität macht sich breit. Auch Kribbeln. Es sind die Augenblicke, in denen die Seele der Kreisstadt berührt und gestreichelt wird. Lolls, Deutschlands ältestes Volksfest, steht vor der Tür.
Es ist früh am Morgen. Und die Kids trippeln auf der Stelle. Freudige Erwartung ist aus ihren Gesichtern abzulesen. Schließlich sind sie es, die den Lollslauf eröffnen. Mutti, Vati, Opa und Oma, wenn es geht, sind alle von der Familie dabei. Hier ein Handy-Bildchen, dort eines. Oder ein Video. Weißt du noch, damals … sagen sie in ein paar Jahren. Es war, als in Hersfeld andere Strecken geändert wer f den mussten. Doch das war ja auch gut so, irgendwie. Mehr Kontakt zum Publikum. Zu den Leuten, die mitfiebern. Denn die Stimmung ist grandios. Schon weit vor Beginn ist sie gut. Leuchtend wie eine Kastanie, die in den Tagen danach im lodernden „Fierche“ brennt. Und sie wird noch besser, die Stimmung. Wenn die Läufer erst auf der Strecke sind.
Leichtathletik Niederaula, Werratal-Schule, LGA Rotenburg-Bebra, Hünfelder SV, JFV Bad Hersfeld steht auf den Laufshirts der Kids. Plötzlich ergreifen Kristina Langbein-Marth, einstige charmante Stimme von Sport&Show, und Olaf Podszuweit, der auch schon mal als „Mister Lollslauf“ durchgeht, das Wort. In ihrer Anmoderation sagen sie: „Lollslauf, dieses Mal ist er etwas anders.“ In Bad Hersfeld wird seit geraumer Zeit so viel gebaut, nicht nur an der Hochbrücke, ob man die als Teil der Strecke haben muss oder nicht. „Sehr schön, dass das so angenommen wird“, sagt Podszuweit. Er weiß und ist sich bewusst, dass die neuen Strecken Herausforderungen bieten. Apropos angenommen: Mehr als 3.000, fast 3.100 Teilnehmer machen mit beim 26. Lollslauf, der vom SC Neuenstein veranstaltet und organisiert wird. Knapp 400 Helfer sind im Einsatz. Beide Werte sind beinahe gigantisch - berücksichtigt man, was Veranstalter und Helfer in den Wochen zuvor auf die Beine stellen mussten.
Kristina Marth begrüßt die Schirmherrin Manuela Schmermund, Para-Olympiasiegerin im Schießsport aus Mengshausen. Erst gut zwei Tage zuvor aus Indien zurückgekehrt, ist sie blendendes Gesicht des Lollslaufes. Eine bessere Patin hätte man kaum finden können, hat sie in ihrer Karriere doch hinlänglich bewiesen, was man durch Ehrgeiz, Einstellung und nicht zuletzt und gerade wegen eines Handicaps alles erreichen kann im Sport. Auch Manuela Schmermund macht mich bei dieser Veranstaltung. Sie lässt sich tragen.
Ehe es losgeht mit dem Kinderlauf, ruft „Krissi“ Marth zu einem auf, das nicht fehlen darf im Herzen der Hersfelder. „Es gibt noch eine Attacke“, spornt sie über ihr Mikro an, „und dann geht es los“. Die Moderatorin meint „Enner, zwoon, dräi, Bruder Lolls.“ Sagt man oder besser schreit man das in Hersfeld, liegt man immer richtig. Es ist 9.35 Uhr, als die Kids starten. Pünktlich auf die Sekunde. Und es dauert nicht so lange, bis der Erste ins Ziel kommt. Es ist ein Jugendlicher der SG Barockstadt aus Fulda. „Ihr habt alle einen großen Applaus verdient“, beglückwünscht Marth die ins Ziel strömenden Kids auf dem Linggplatz. Das ist ihre Bühne. Würde man einen Vorhang benutzen, könnte der auffallender und größer nicht sein. Und überhaupt: „Das waren die ersten 500 Läufer auf der Strecke“, überschlägt sie sich fast. Wie bitte? 500 Läufer? Einfach klasse.
Beim folgenden 5-km-Lauf kommen andere Namen auf den Shirts hinzu. Etwa LC Marathon Rotenburg, für den der einschlägig bekannte Pascal Weiß an den Start geht. „Diese 5-km-Strecke ist tatsächlich etwas anders“, informiert Olaf Podszuweit, „sie ist schnell, hat aber zwei enge Passagen. Also seid fair zueinander“, bittet er die Läufer. Platz eins geht an Philipp Stuckhardt - wen sonst? Hersfelds wertvollstes Sport-Gesicht. 15:49 lautet seine Zeit. Was Podszuweit orakelt, tritt auch ein: eine Zeit mit einer 15 vorne. Eine 3:16 im Schnitt für den Kilometer - na ja … Doch wer Stuckhardt kennt und in etwa richtig einzuschätzen weiß, der weiß auch, dass er schneller hätte laufen können. Stuckhardt meinte nur: „Die Strecke ist durchaus tückisch. Sie hat irgendwelche Ecken und Anhöhen, in denen du Tempo verlierst. Aber es war mega-geil von der Stimmung her.“ Das ist die Ansicht des Bergläufers von internationalem Spitzenformat. „Ich bin zufrieden. Auch wenn die Zeit nicht der Burner war“. 16:02 erreichte der Zweite. 16:09 der Dritte.
Begeisterung und Mitfiebern waren unübertrefflich im Mikrokosmos Linggplatz. Echt waren die Gefühle aller. Zum Aufsaugen war alles drumherum. Ein dickes Lob ist an die Veranstalter gerichtet, die den Lollslauf - eine Schaufenster-Auslage auch in Sachen Marketing für die Stadt - im und am Leben erhielten und ihn in 2025 durchführten. Denn es gehörte viel Mut, Engagement, Glauben und Vertrauen dazu, diese Marke aufrechtzuerhalten. Und noch mehr Arbeit. Und während 1.000 Läufer im so beliebten Mannschaftslauf die Strecke in Angriff nehmen, kreuzt Karl-Heinz Hemel den Weg. Er spricht über Hintergründiges - sollte man doch bedenken, dass Applaus und Händeklatschen wichtig sind auch dazugehören, noch elementarer aber ist es, wo das Ganze herkommt. Nichts macht sich von alleine. Nichts.
„Wir haben unseren SC Neuenstein neu gegründet“, sagt der 1. Vorsitzende, „mit fünf Personen, die über 60 sind. Wenn wir uns nicht bereit erklärt hätten, würde es den SC Neuenstein und den Lollslauf nicht mehr geben“. Ehrliche Worte. Treffende Worte. Glaubwürdige Worte. Solche des Herzens. „Wir sind seit fünf Monaten mit Arbeiten für den Lollslauf beschäftigt.“ Doch Hemel geht weiter. Auch die Auflagen, die uns gemacht werden, erschweren es uns immer mehr, diese Veranstaltung durchzuführen.“ Und jenen Aspekt, unter dem viele Vereine leiden - und gerade in Osthessen - schiebt er explizit nach. „Die Älteren halten alles hoch.“ Das Mitwirken der Stadt Bad Hersfeld lobt er. „Sie unterstützt uns finanziell und auch bei allen Anliegen, die an den Strecken auftreten.“ Eines würde er sich zudem wünschen. „Wir werden die Sponsoren ansprechen, dass wir alle Bausteine - wie zum Beispiel Siegerehrung oder Werbung - outsourcen oder auslagern können.“
Auch das ist Lollslauf. Gespräche mit Beteiligten in nächster Nähe. Inzwischen sorgen Cheerleader des Tanzstudios Birgitt Fründ für beste, charmante und auflockernde Unterhaltung. Der Rahmen passt. Der Lollslauf und Bad Hersfeld haben sich einfach neu erfunden. Dichtes Gedränge, wohin man sieht. An Unterstützung auch für die, die auf hinteren Rängen einkommen, mangelt es nicht. Das Wetter war zwar besser, die Atmosphäre aber ist umwerfend. Unterdessen kommt jenes Team ein, das auf Platz eins des Mannschaftslaufes landet: der SV Unterhaun. Die Zeit der Gruppe um die Lorenz-Brüder: 21:05. „Da kommen Anwärter für die besten Kostümpreise ins Ziel“, feuert Krissi Marth wieder an am Mikro. Auch einer der zahlreichen Fußballer kommt um die Ecke. Es ist Markus Schneider, einst für den SV Heenes aktiv. Ob er auch mitlaufe? „Ich lauf‘ mit ihm“, sagt er knapp. Und er zeigt auf seinen Sohn. Irgendwie hat seine Aussage Symbolkraft. Es ist ein Ausschnitt des Lollslaufes. Und sie wäre eine Marketing-Nische.
Bambini, Nordic-Walker und 10-Kilometer-Läufer folgen. Torsten Warnecke, Landrat des Kreies Hersfeld-Rotenburg, und Hersfelds Bürgermeisterin Anke Hofmann geben den Startschuss - alle zeigen sich auf dem Linggplatz. Den 10-Kilometer-Lauf gewinnt - na wer … Philipp Stuckhardt. „Ich bin sehr ruhig angegangen, hab‘ dann angezogen und bin meinen Rhythmus gelaufen.“ Auch hier legte er - wie am Wochenende zuvor bei den Hessischen Halbmarathon-Meisterschaften in Schotten - nicht den größten Wert auf die Zeit. Beachtung finden diese Worte. Alle Läufer sagten, in Hersfeld, das seien keine einfachen Strecken. Doch da lobt den Veranstalter: „Der SC Neuenstein hat das Beste daraus gemacht. Dieser Lollslauf ist ein Erfolg für den Veranstalter gewesen.“ Auch wenn er - reich an nationalen und internationalen Erfahrungswerten - hinzufügt: „Die Strecken müssten noch überarbeitet werden.“ Und ohne rot zu werden, schiebt er, der sonst als Bergläufer vielfach in den Alpen unterwegs ist, nach: „Die Helden des Lollslaufes 2026 sind für mich Karl-Heinz Hemel und Olaf Podszuweit. Sie haben in erster Linie dafür gesorgt, dass der Lollslauf weiterging.“
Von Erfolgsgeschichte und Helden noch zu einer Ansicht, die weit mehr als nur eine Fußnote ist. Dieser Lollslauf war für die Bürger da. Und nicht umgekehrt. Motto: Rein in die Herzen. Rein in die Fenster und Wohnungen an der Strecke. Die Botschaft: Alle kommen vorbei, ich brauch‘ nicht rauszugehn. Und im nächsten Jahr gibt es den Halbmarathon wieder. Bestimmt. Bis der Duft der Kastanien wieder Hersfelds Seele streichelt. +++ rl
Hinterlasse jetzt einen Kommentar