Der Brandfulder: Mahlzeit

Die Satire auf fuldainfo

„Was ist Mahlzeit“, fragte mich Reggi. Der 38-jährige Flüchtling stammt aus Äthiopien, versucht seit dreieinhalb Jahren Asyl und Arbeit in Deutschland zu finden. Mit eher bescheidenem Erfolg. Er ist geduldet, lebt in einer Asylbewerberunterkunft in der Rhön und zählt noch nicht zur aktuellen 21,3 Prozent-Quote aussichtsreicher Asylverfahren aus diesem nordostafrikanischen Bürgerkriegsland. Nicht mehr und nicht weniger. Seit er mir nach seiner Ankunft seinerzeit seine Geschichte erzählte – und nur an Einzelschicksalen kann man die ganze Tragik des millionenfachen Flüchtlingsleids und -elends deutlich machen – habe ich mich ein wenig um ihn „gekümmert“, wie man so schön sagt. Ihm hie und da ein wenig Deutschunterricht gegeben, ihn mal zum Kaffee eingeladen, ein Bewerbungsschreiben von ihm korrigiert, bei der TAFEL ab und an eine Banane mehr zugesteckt – was ihm hochnotpeinlich war und wofür er sich regelrecht schämte. Und ich habe Reggi gelegentlich auch zu Behördengängen begleitet – zuletzt zur Ausländerbehörde.

Nach diversem Durchfragen und von „Pontius zu Pilatus-Schicken“, einigen falschen Anlaufpunkten – und – der Brandfulder gibt es ehrlich zu: auch einmal Vordrängeln war dabei – waren wir zwei letztendlich fünf vor Zwölf dann doch an der richtigen Stelle gelandet. Ich hatte nicht mehr damit gerechnet, dass wir überhaupt noch drankommen würden – aber immerhin. Ein rotblonder junger deutscher (nach eigener Einschätzung) Vorzeigevollblutverwaltungsbeamter, dem Aussehen und der Einstellung nach Typ Donald Trump in einer spätpubertären Phlegma-Phase, versuchte uns gleich abzuwimmeln. Warum wir denn überhaupt persönlich vorbeigekommen wären, er hätte uns doch den Eingang von Reggis Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars zur Erstellung eines Beurteilungsbogens zwecks Überprüfung der Rechtmäßigkeit zur Ausstellung eines Ersatzpass-Dokuments bestätigt. Das müsse vorerst einmal genügen. Außerdem seien er und das BAMF wegen Arbeitsüberlastung zeitlich noch nicht dazu gekommen, Reggis mit 30 Seiten „viel zu lange“ Schilderung seiner lebensgefährlichen Flucht zu lesen und die Überprüfung einer eventuellen Ausstellung eines deutschen „Ersatzpasses“ einzuleiten, um darüber befinden zu können, ob überhaupt eine Tätigkeit als Alten- und Krankenpflegerhelfer an einem hiesigen Krankenhaus in Frage käme.

Sie merken, eigentlich alles bewegte sich im Konjunktiv. Als der Donald im Westentaschenformat dann doch noch selbst bemerkte, dass er sich in Wortwahl und lautem Tonfall leicht vergriffen (und sich auch entschuldigt hatte) – aber erst nachdem ich ihm „klarmachte“, über den „Fall Reggi“ zu berichten, – zog er wohl angesichts drohender öffentlicher Negativpublicity und behördeninterner Schelte durch den Chef, hoffentlich aber auch aus eigener Einsicht, die Reißleine und eine weitere, blutjunge Verwaltungsbeamtenkollegin zur Moderation und Mediation hinzu.
In der Zwischenzeit hatte die Glocke 12 mittags geschlagen. High Noon in der Rhöner Ausländerbehörde. Doch hier kämpften nicht wie in dem Hollywood-Westernklassiker ein einsamer Gary Cooper mit einem Revolver gegen seine übermächtigen Feinde. Auch nicht mit Worten der Brandfulder und Reggi gegen die stockenden und nur schlecht geölten Windmühlenflügel einer Ausländerbehörde. Nein, hier kämpften deutsche Verwaltungsbeamte damit, dass sie rechtzeitig den Bleistift aus der Hand legen und punktgenau von 12 bis 13 Uhr ihre Mittagspause einhalten konnten. „Mahlzeit – Mahlzeit“, hallte es über die Gänge. „Was ist ‚Mahlzeit‘?“, fragte Reggi. Ich sagte ihm, dass es so etwas wie guten Appetit bedeutet, weil sie jetzt alle in die Kantine zum Essen gingen. Die Norddeutschen würden es sich noch etwas leichter machen und den ganzen Tag „Moin Moin“ sagen. „Oh, das ist schwierig, dieses Bayerisch“, sagte Reggi.

Die landsmännisch unterschiedlichen deutschen Höflichkeitsfloskeln und Begrüßungsformeln hat er noch nicht so ganz verstanden, wohl aber tief in seiner geschundenen Seele und mit seinem gebrochenen Herzen kapiert, dass solche Menschen über Wohl und Weh (und letztlich irgendein Anerkennungsdokument) eines äthiopischen Flüchtlings entscheiden. Eines malträtierten Mannes, der sich neun Monate zu Fuß durch die sudanesische Wüste schleppte, ein Jahr unter erbärmlichsten Bedingungen in einem libyschen Knast dahinvegetierte, dem mit hunderten Anderen die Massenflucht aus diesem Konzentrationslager gelang und der schließlich auf der Flucht beim Kentern eines „Seelenverkäuferbootes“ auf dem Mittelmehr seine Lebensgefährtin durch Ertrinken verlor. Und der eigentlich nichts anderes will, als hier endlich richtig anzukommen. Der nicht auf Behörden ständig hören möchte, „das ist nicht unser Problem“, „da können wir nichts machen“, „für dich ist allenfalls das Sozialamt zuständig“. Reggi will endlich „richtig“ arbeiten, nachdem er schon zig Praktika in Altenheimen und Krankenhäusern absolviert hat und seine Vorgesetzten ihm durch die Bank weg beste Noten ausstellten und ein einwandfreies Verhalten attestierten. „Die sollen uns nicht wie alte und kranke Menschen behandeln. Ich möchte Arbeit und nicht vom Staat Geld kassieren.“, sagt Reggi in seinem „1a-Level-Deutsch. Der Brandfulder sagt: „(Prost) Mahlzeit!“ +++