Dehler: „Das Galoppieren auf der emotionalen Welle hat keine Zukunft“

Politikberater Dehler zum Überlebenskampf von Martin Schulz

Martin Schulz und, Prof. Dr. Dehler. (v.l.)

Fulda/ Berlin. Die Wahl in NRW ist gelaufen. Einigermaßen verlässliche Hochrechnungen liegen vor. Die SPD liegt als größter Wahlverlierer in der Schockstarre. Hannelore Kraft ist als Ministerpräsidentin und von Ihren Parteiämtern zurückgetreten. Hingegen macht sich der SPD-Hoffnungsträger, Parteivorsitzende und Kanzlerkandidat Martin Schulz selber Mut: Er sei ein großer Kämpfer und könne vor allem Wahlkampf, sagte er am Wahlabend sinngemäß zur anstehenden Bundestagswahl. Was wird jetzt aus ihm? Wie soll es mit ihm und der SPD nach dem Schlamassel in NRW weitergehen? Kriegen Martin Schulz und seine SPD bis zur Bundestagswahl noch die Kurve? Was muss passieren, um Kanzlerin Angela Merkel Paroli bieten zu können? Das haben wir spontan nach der NRW-Wahl den Politikberater Prof. Dr. Dehler telefonisch gefragt. Das Interview wurde aufgezeichnet und wird hier wortgetreu wiedergegeben.

Fuldainfo.

Martin Schulz liegt nach der NRW-Wahl am Boden. Wir sehen im Fernsehen einen sichtlich niedergeschlagenen SPD-Chef. Jedoch, er will weiterkämpfen. Man könnte meinen, jetzt erst recht. Wenn einer etwas vom Kämpfen versteht, dann doch Sie. Sie waren über zwei Jahrzehnte Ringkampfsportler. Von Ihnen stammt, wie sich herumgesprochen hat, das Motto auch für Ihr eigenes Leben: „Ein Ringer fängt erst richtig an zu kämpfen, wenn andere schon aufgegeben haben“. Das ist doch wohl so ähnlich, wie wenn Martin Schulz jetzt nach der dritten Schlappe der SPD bei einer Landtagswahl sinngemäß sagt: „Jetzt geht’s erst richtig los“. Oder?

Dehler

Ringen ist der einzige, mir bekannte Sport, bei dem der Mensch ohne irgendein Medium (Ball, Boxhandschule, Judoanzug usw.) direkt und hautnah mit seinem Gegner kämpft. Wenn du auf der Matte stehst, zählt nur Konzentration, Können, Kraft und Ausdauer, natürlich auch deine Kampfstrategie. Dabei bist du ganz alleine auf dich gestellt. Und es ist egal, wie du aussiehst, welche Haut- und Haarfarbe du hast und was du über deinen Gegner ansonsten denkst und sprichst, – gar welcher Partei du angehörst. Nicht so in der Politik, in der eine ganze Maschinerie von Medienprofis den Wahlkämpfer formt, ja ihn letztlich zu dem macht, wie er sein soll und er dann am Ende auch so ist wie er sein soll. Insofern ist das „Jetzt geht’s erst richtig los“ des Martin Schulz kaum vergleichbar mit unserem Ringermotto. Für mich liegt Martin Schulz am Boden ohne so recht zu wissen, wie er dahin gekommen ist. Und diejenigen, die ihm die Matte ausgelegt haben, auf der er nun liegt, auch nicht. Sie haben ihn verherrlicht und sich damit selbst geblendet.

Fuldainfo.

Das heißt wohl, Sie haben Zweifel an der Kampfbereitschaft des Martin Schulz nach den bisherigen Wahlniederlagen, die ja nach dem Schulz-Hype eng mit ihm verknüpft sind.

Dehler

Schulz ist für mich das personalisierte Dilemma der gesamten SPD, die seit Jahren, vor allem in der großen Koalition herumtaktiert, ohne eindeutig und konsequent zu sagen, wohin sie die Menschen in die Zukunft mitnehmen will.  Man weiß nicht, wie Martin Schulz wirklich ist, wenn es ernst wird. In gewisser Weise wurde er vor den „tief im Sumpf“ steckenden Karren der SPD gespannt bzw. hat sich gerne selber davor gespannt. Nach dem nicht gerade glücklich agierenden Sigmar Gabriel hat er bisher lediglich die Rolle des Heilsbringers, – des neuen Messias und „Gottkanzlers“ der SPD gespielt. Die Wurst ist dabei immer noch nicht ins Glas gekommen.

Fuldainfo.

Was ist daran so schlecht?

Dehler

„Schlecht“ ist möglicherweise der falsche Ausdruck. Ich würde eher von Verblendung reden. Ich war Schulz von Anfang an skeptisch gegenüber, weil die von ihm erzeugte Gefühlsduselei, verbundenen mit der Proletarisierung  seiner Herkunft und Schulbildung (wenn man z.B. an die „Kann einer ohne Abitur Kanzler werden-Rhetorik“ denkt) sich als eine reine Stimmenfangmasche fürs „einfache“ Volk entlarvt hat. Und bei dem ganzen Herumgeeiere über ein paar Gerechtigkeitsfloskeln, dem doch für die SPD selbstverständlichen Europabekenntnis und ein wenig Hartz 4-Reformabsicht (die übrigens auch schon einmal Steinbrück als Kanzlerkandidat hatte), war da doch bisher nichts gewesen, was eine seriöse, in die Zukunft weisende Politik ausgezeichnet hätte.  Jetzt, nach drei mit Schulz verlorenen Landtagswahlen wissen wir doch bereits,  dass das Herumgaloppieren auf der emotionalen Welle keine Perspektive hat. Weder um Wahlen zu gewinnen, schon gar nicht, um die Zukunft für uns und die nachfolgenden Generationen seriös zu gestalten. Viel zu groß sind die Überlebensprobleme der Menschheit, als sie Leuten zu überlassen, denen es in erster Linie um den Wahlsieg geht.

fuldainfo

Wie hätte das besser laufen können?

Dehler

Der große Fehler der SPD war, dass man einen extrem karrieresüchtigen Martin Schulz ohne Wahlprogramm vor sich hin schwadronieren ließ. Und sich dann auch noch Hals über Kopf in ihn verliebt hat. Wie kann es sein, dass erwachsene Menschen mit dem hochgehaltenen Konterfei des Gottvaters MS in der Hand vor diesem Martin Schulz stehen und ihm frenetisch „MartinMartinMartin …“ zurufen, und hinterher auch noch mit einhundert Prozent zum Parteivorsitzenden wählen. – Das dann noch als den größten, je dagewesenen Erfolg einer Parteivorsitzenden-Wahl zu bezeichnen, war nichts als ein Rausch; so etwas wie politisiertes Haschisch. Und man fragt sich im Übrigen auch, was die seit der Schulz-Ära in die SPD eingetretenen 17.000 Menschen vorher politisch so gedacht und getrieben haben. Eine Menge Fragen, die der Schulz-Hype bei mir auslöst.

fuldainfo

Und jetzt?

Dehler

Die SPD-Spitze bemüht sich nun erst einmal, obwohl sie Martin Schulz mit bundespolitischen Themen von Spritzenhäuschen zu Spritzenhäuschen in die Länder, zuletzt nach NRW, herum geschickt hat, zu betonen, dass das ja allesamt Landtagswahlen waren – und der Bundestagswahlkampf nun erst losgehe. Was natürlich nicht der Realität entspricht. Das ist für mich nichts anderes, als heruntergefallene dürre Blätter mit einem groß angelegten chirurgischen Eingriff wieder an lebende Äste zu heften.

fuldainfo

Was wird nun aus Martin Schulz?

Dehler

Martin Schulz wurde von der SPD verheizt. Dabei der hat er selber die Späne aufs Papier gelegt. Ich nehme an, dass er in knapp vier Monaten das Ruder nicht mehr herumreißen kann. Zum Erfolg der SPD würde gehören, ein Programm aufzulegen, das in all seinen Facetten, von der Vision (wie wir bzw. die nachfolgenden Generationen in 20 oder/und 50 Jahren leben sollen) bis hin zu ganz konkreten Strategien und Maßnahmen aufzeigt. Dazu wird es aber leider nicht kommen, weil es jetzt in erster Linie darum gehen wird, wie sich die SPD zu anderen Parteien absetzen kann, um die Bundestagswahl ohne nicht allzu großen Gesichtsverlust zu überstehen. Wer sich da mit dem Wort „Sieg“ beschäftigt, muss von Berufs wegen Optimist sein.

fuldainfo.

Was denn sonst?

Dehler

Die Wählerinnen und Wähler, wollen (übrigens von allen Parteien) endlich einmal wissen, wohin die Reise geht. Dabei liegen die Themen Umwelt, Gesundheit, Gesellschaft und Zukunft auf der Straße. Und zwar spätestens seit dem Bericht des Club of Rome „Grenzen des Wachstums“ 1972. Der Politik sei daher empfohlen, sich in Wahlkämpfen und darüber hinaus dringend an den Satz der ehemaligen norwegischen Ministerin Brundlandt zu  halten, die sinngemäß sagte: „Es kommt nicht darauf an, was sich dieser oder jener wünscht, sondern darauf, was wir tun gezwungen sind.“

fuldainfo.

Und was würden Sie, wenn Sie die SPD fragen würde, was sie nun mit Martin Schulz machen soll, sagen?

Dehler

Gehen Sie davon aus, dass mich die SPD nicht mehr fragen wird. Wenn diesbezüglich jedoch ein Wunder geschehen sollte, gäbe ich den Rat, MS schnellstmöglich im Sinne der Antwort zuvor durch einen/eine zukunftsträchtigen Genossen/Genossin zu ersetzen, wenn sie im September noch eine kleine Chance haben möchte. Feiner wäre es, Martin Schulz würde selber aufgeben, als Hannelore Kraft vorzuschicken, mit ihren Rücktritten die ganze Last seines Scheiterns auf Ihrem kleinen Rücken zu tragen. Da der Mensch aber eben vorrangig doch Mensch ist, möchte ich im Übrigen nur ungern zusehen, wie sich MS die nächsten vier Monate quälen muss, sich und uns etwas vorzumachen.

fuldainfo.

Danke für das Interview! +++

Zur Person: Joseph Dehler ist Schüler des 2. Bildungsweges. Er kommt ursprünglich aus dem Hotelfach. Zwischen 1982 und 1994 war er Rektor der Hochschule Fulda. Seit dieser Zeit ist er im Innovationsgeschäft und in der Politikberatung tätig. U.a. war er Regierungsbeauftragter für Innovation und Technologieentwicklung in Hessen sowie in ähnlichen Funktionen für die Bundesregierung und für die Landesregierung Land Sachsen-Anhalt tätig. Er kennt die Politik sowie die Wissenschafts- und Ministerialverwaltung von innen und außen. In der Region Osthessen hat er sich stark im Biosphärenreservat Rhön engagiert. 1998 war er Oberbürgermeisterkanditat in Fulda für SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Christliche Wählereinheit (CWE) sowie mit Unterstützung der FDP. Im Dezember 2015 ist er nach 41 Jahren anlässlich des Syrieneinsatzes der Bundeswehr aus der SPD ausgetreten. Er ist Autor zahlreicher Bücher. In den letzten Jahren schrieb er vor allem Politsatire; darunter auch in der Reihe „Dehler unterwegs“ bei Fuldainfo. www.politikberatung-dehler.de