Bundesarbeitsminister: Fleisch-Skandal schadet auch außenpolitisch

EU-Kommissar forciert bessere Arbeitsbedingungen in Fleischbranche

Hubertus Heil (SPD)
Hubertus Heil (SPD)

Der Skandal um die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie beschädigt laut Bundesarbeitsminister Hubertus Heil Deutschlands Beziehungen in der EU. „Das schadet uns auch außenpolitisch“, sagte der SPD-Politiker der „Welt am Sonntag“. Es gebe in Europa erhebliche Diskussionen darüber, „wie schlecht wir mit den rumänischen Landsleuten umgehen“. Gleiches gelte in Bulgarien. „Das müssen wir dringend ändern.“ Er wolle das Thema daher auch im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft auf die Tagesordnung setzen, die in der kommenden Woche beginnt. Heil kündigte an, im Juli ein gerichtsfestes Gesetz zum Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit im Kernbereich der Branche vorzulegen. Das sei „juristisch anspruchsvoll, aber machbar“. Wenn es nach ihm gehe, könne das Gesetz noch dieses Jahr in Kraft treten. Denn es gehe in dieser Debatte nicht nur um das Unternehmen Tönnies. Dieses war stark in die Kritik geraten, nachdem sich zahlreiche Mitarbeiter mit dem  Coronavirus infiziert hatten. „Es geht um systemische Probleme in der Branche, an die wir ranmüssen“, sagte Heil der Zeitung.

EU-Kommissar forciert bessere Arbeitsbedingungen in Fleischbranche

Nach den Corona-Ausbrüchen in deutschen Schlachthöfen will die EU-Kommission jetzt rasch auf europäischer Ebene das Problem schlechter Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie angehen. Die Kommission werde mit den EU-Staaten über das Problem schlecht abgesicherter Saisonarbeiter und die Umgehung von Sozialstandards sprechen, sagte EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Wir müssen jetzt schnell handeln und können nicht jahrelang über Gesetzestexte reden“, so der Kommissar. Andere EU-Mitgliedsländer hätten schon vor Jahren Beschwerden über die deutsche Fleischindustrie wegen unlauteren Wettbewerbs eingereicht. „Aber sozial schlecht abgesicherte und diskriminierte Saisonarbeiter gibt es nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen EU-Staaten, etwa in den Niederlanden oder in Südeuropa“, sagte Schmit. Die Debatte um schlechte Arbeitsbedingungen war durch den Corona-Ausbruch beim deutschen Branchenriesen Tönnies angefacht worden. Der Kommissar beklagte eine fragwürdige Vorgehensweise von Unternehmen, die dazu führe, dass die betroffenen Arbeitnehmer meist nicht unter die EU-Entsenderichtlinie fielen – dann erhielten sie gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Stattdessen würden die Saisonarbeiter nicht bei einem ausländischen, sondern bei einem inländischen Subunternehmen angestellt. Schmit kündigte Leitlinien der Kommission an, die die Umgehung von EU-Sozialstandards verhindern sollen. Gegebenenfalls könne die Kommission auch mit einer Richtlinie gegen die Praxis vorgehen. „Wir können nicht zulassen, dass zigtausende Arbeitnehmer durch das Netz fallen“, sagte Schmit. In Deutschland hat die Bundesregierung ein Verbot von Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassungen in der Fleischindustrie angekündigt, die Branche läuft aber dagegen Sturm. Zu Corona-Ausbrüchen kommt es nicht nur in Schlachtbetrieben in Deutschland, sondern auch in anderen Staaten Europas. Das geht aus einer Übersich  t der EU-Behörde für Krankheitsbekämpfung (ECDC) hervor, über die die Funke-Zeitungen berichten. Danach wurden in den vergangenen Wochen in mehreren europäischen Staaten Corona-Ausbrüchen in Schlachthöfen und Fleischfabriken registriert – darunter in Irland mit insgesamt 560 betroffenen Beschäftigten, in Spanien mit rund 200 Mitarbeitern und in Großbritannien. Es bestehe in diesen Einrichtungen ein erhöhtes Risiko für die Ausbreitung von Atemwegserkrankungen wie Covid-19, heißt es in dem Bericht.

Wirtschaftsminister will Haftung im Fall Tönnies prüfen

Bundeswirtschaftminister Peter Altmaier (CDU) hält es für geboten, mögliche Haftungsansprüche gegen die Fleischfirma Tönnies zu prüfen. „Wir haben für solche Fälle klare Regelungen“, sagte Altmaier der „Welt am Sonntag“. Und die müssten auch angewendet werden – ohne Ansehen der Person. Es gebe eine hohes Interesse, das „Vertrauen in die hygienische Zuverlässigkeit der heimischen Unternehmen wiederherzustellen“, so Altmaier weiter. „Das Verbot der Werkverträge ist dabei nur ein erster Schritt.“ Man müsse auch über die Unterbringung dieser Menschen reden. „Marktwirtschaft darf nicht zu Ausbeutung führen.“ Zudem kündigte der Minister einen Plan an, wie exportierende Unternehmen in der Coronakrise gefördert werden sollen. „Deutschland ist stärker als viele andere Länder in die Weltwirtschaft integriert und hat durch den Export enorm davon profitiert“, sagte Altmaier. „Wir verbessern jetzt sogar die finanziellen Bedingungen für unsere exportierenden Firme  n deutlich und haben dazu ein 5-Punkte-Maßnahmenpaket erarbeitet, das wir in der kommenden Woche vorlegen.“

Bulgarischer Politologe: Job in Fleischindustrie ist „Aufstieg“

Der bulgarische Buchautor und Politologe Ivan Krastev hat sich verwundert über die deutsche Debatte zu den Zuständen in der Fleischindustrie gezeigt – er sieht in der Beschäftigung von Billiglöhnern aus Osteuropa kein Indiz für eine Ausbeutung. „Wenn Sie an die niedrigen Löhne bei uns denken, verstehen Sie, dass ein Arbeitsplatz in Westeuropa für unsere Arbeiter einen sozialen Aufstieg bedeutet“, sagte Krastev dem „Tagesspiegel am Sonntag“. In bulgarischen Medien habe er keinen Ärger über die Vorkommnisse in der deutschen Fleischindustrie wahrgenommen. „Europa hat in der Krise gelernt, wie sehr manche Wirtschaftszweige in Westeuropa und Deutschland abhängig sind von Arbeitern aus Ost- oder Südosteuropa.“ +++