Bund-Länder-Gruppe kritisiert Abschiebepraxis scharf

Asyl

Berlin. Vertreter von Bundesländern und Bundespolizei haben die Abschiebepraxis in Deutschland scharf kritisiert. In einem internen Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Rückführung“ (AG Rück) beklagen sie, dass weder Politik noch Behörden konsequent bestehende Regeln umsetzten. „Rückführungen werden nicht mehr als politisch gewolltes und gesetzlich vorgegebenes Mittel zur Bekämpfung der ungesteuerten illegalen Zuwanderung anerkannt“, heißt es in dem Bericht aus dem April, der der „Welt“ vorliegt.

Das Papier, das 20 Seiten umfasst, ist eine Evaluation einer Analyse aus dem Jahr 2011. Die Experten halten an ihrer Einschätzung fest, dass Abschiebungen „seit vielen Jahren in einem gesellschaftlichen Klima der Ächtung und Ablehnung“ stattfänden. Wenn in Medien und öffentlichen Diskussionen die Rückführung von Ausreisepflichtigen thematisiert werde, geschehe dies „stets mit dem Tenor des Skandalisierens des behördlichen Handelns“. Weiter heißt es in dem Bericht, dass „einflussreiche gesellschaftliche Gruppen (Kirchen, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, politische Parteien)“ Abschiebungen als „einen Akt inhumanen staatlichen Handelns“ darstellten, was eines Rechtsstaats „nicht würdig ist“. Politiker wiederum „tabuisieren das Thema `Abschiebung` bestenfalls, häufiger aber schließen sie sich dem Mainstream an“.

Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt, etwa Aktionen zur Verhinderung von Abschiebungen, würden nicht mehr strafrechtlich sanktioniert: „Im Gegenteil: Sie gilt als anerkannte Form der Zivilcourage.“ Die Bundesregierung hat die für die Abschiebungen zuständigen Bundesländer zuletzt mehrfach aufgefordert, ihren Verpflichtungen konsequenter nachzukommen. Hintergrund sind die stark gestiegenen Flüchtlingszahlen: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geht mittlerweile von insgesamt rund 450.000 Asylanträgen in diesem Jahr aus. Die Arbeitsgruppe beklagt in ihrer Zusammenstellung vor allem die Probleme bei der Beschaffung von Ersatzpapieren. „Fehlende Identitätsnachweise bei Asylbewerbern und Ausreisepflichtigen sind nach wie vor das quantitativ bedeutendste Problem beim Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen.“ Eine Prüfung Anfang 2015 habe ergeben, dass 73 Prozent der Personen in laufenden Asylverfahren angegeben hätten, keine Identitätsdokumente zu besitzen. „Vielfach handelt es sich dabei um eine zielgerichtete Verschleierung von Identitäten und damit letztlich auch der Herkunft zur Verhinderung der behördlichen Durchsetzung einer späteren oder bereits bestehenden Ausreisepflicht“, heißt es im Papier kritisch. „In der täglichen Praxis ist es so, dass diejenigen, die nur hartnäckig genug ihre Identität verschleiern und sich nur beharrlich genug ihrer Ausreiseverpflichtung widersetzen, am Ende gegenüber den anderen die Bessergestellten sind.“

Es bestehe eine „Gefahr“, dass die „Gewährung eines Aufenthaltsrechts nicht mehr von der Einhaltung bestimmter Regeln abhängt, sondern sich diese Regeln umgekehrt an der Verweigerungshaltung des zur Ausreise verpflichteten Ausländers orientieren“. Das führe dazu, dass „der gesetzestreue Ausländer, der seiner Ausreiseverpflichtung nach Abschluss eines rechtsstaatlichen Verfahrens nachkommt, der `Dumme` ist.“ Nach Ansicht der AG Rück birgt die Zusammenarbeit mit mehreren Herkunftsländern große Probleme aufgrund einer „mangelnden oder fehlenden Kooperation“. Insgesamt 28 Staaten stehen laut Bericht derzeit auf einer Liste, die dem Bundesinnenministerium und dem Auswärtigen Amt vorliegen. Bemängelt wird unter anderem, dass diese Staaten kein „politisches Interesse an Rückführungen“ hätten. Bei einzelnen Ländern führe die schlechte Zusammenarbeit dazu, dass die Beschaffung von Ersatzpapieren „gänzlich unmöglich“ sei. +++ fuldainfo