Brexit-Effekt für Hessens Wirtschaft weniger bedenklich

Der Brexit ist ohne Frage eine gravierende Veränderung

Hessen

Frankfurt/Main. Die negativen Auswirkungen des Brexit für die Gesamtwirtschaft in Hessen und FrankfurtRheinMain werden trotz der engen wirtschaftlichen Beziehungen zu Großbritannien überschaubar bleiben. „Hessen dürfte am Ende besser durch den Brexit kommen als andere Bundesländer“, sagte Prof. Dr. Mathias Müller, Präsident der Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main, bei der Vorstellung einer Studie, die die IHK beim ifo Institut für Wirtschaftsforschung in München in Auftrag gegeben hatte. Grund für die weniger ungünstige Entwicklung sei, dass der Finanzsektor und die unternehmensnahen Dienstleistungen in der Metropolregion FrankfurtRheinMain besonders stark sind mit Frankfurt als Zentrum. Diese ausdifferenzierte Infrastruktur schütze Hessen bei Turbulenzen eines einzelnen Marktes wie Großbritannien. Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt werde in Hessen im Falle eines harten Brexit um 0,17 Prozent niedriger sein und um 0,08 Prozent bei einem weichen Brexit; die Einbuße werde damit spürbar geringer als in Deutschland insgesamt ausfallen.

Das ifo Institut hat auf Basis eines Simulationsmodells die Folgen des Brexits auf Hessen und FrankfurtRheinMain mit der Entwicklung in den EU-27-Ländern und Deutschland verglichen. Die EU-27 verzeichnet beim preisbereinigten Bruttoinlandsprodukt im Falle eines harten Brexit ein Minus von 0,26 Prozent, im Falle eines weichen Brexit beträgt das Minus nur 0,11 Prozent. Auch Deutschland verliert, kommt aber mit einem Minus von 0,23 bzw. 0,10 Prozent noch etwas besser weg als die EU-27 als Ganzes.

„Der Brexit ist ohne Frage eine gravierende Veränderung der wirtschaftlichen Umstände, denn Hessens Wirtschaft ist in hohem Maße mit der Wirtschaft Großbritanniens verbunden“, sagte Prof. Dr. Müller. Die Exporte nach Großbritannien beliefen sich 2017 auf 4,1 Mrd. Euro. Das entspricht 6,5 Prozent der hessischen Exporte. Damit ist das Land für die hessische Wirtschaft viertwichtigster Auslandsmarkt nach USA, Frankreich und den Niederlanden. Besonders betroffene Branchen sind KFZ und KFZ-Teile, bei denen durchschlagen wird, dass viele Automobile, die in Großbritannien unter der Marke Vauxhall vertrieben werden, „Made in Hessen“ sind. Wichtige Exportgüter aus Hessen sind traditionell auch chemische und pharmazeutische Erzeugnisse sowie elektrotechnische Erzeugnisse. Viele der Firmen sind in UK auch mit Investitionen präsent. Laut Statistik der Deutschen Bundesbank summieren sich die hessischen Direktinvestitionen in UK auf knapp 21 Mrd. Euro. Hessische Firmen beschäftigen dort 39.000 Mitarbeiter. Umgekehrt beschäftigen britische Firmen in Hessen sogar 60.000 Mitarbeiter.

In der deutschlandweiten Branchenbetrachtung verliert vor allem das Verarbeitende Gewerbe mit einem Minus von 0,71 Prozent (harter Brexit). Die Finanz- und Versicherungsbranche sowie unternehmensnahe Dienstleister gehören zu den wenigen Branchen, die bei einem Brexit gewinnen mit einem Plus von 0,22 bzw. 0,19 Prozent.

Bei der deutschlandweiten IHK-Umfrage „Going International“ im Frühjahr 2018 beurteilten die Unternehmen die aktuelle Geschäftslage mit UK als noch zufriedenstellend. Das ist aber deutlich weniger optimistisch als die Beurteilung für den europäischen Markt als Ganzes. Was die weitere Entwicklung für 2018 anbelangt, rutscht die Beurteilung ab. Der Anteil der Pessimisten übersteigt denjenigen der Optimisten deutlich, anders als im EU-Geschäft insgesamt. Auch wenn die Rahmenbedingungen für das künftige Geschäft noch nicht klar sind: Die Unternehmen, die in UK investiert sind, stehen zum dortigen Standort. Die Frage nach möglichen Standortverlagerungen weg aus UK wird von über 91 Prozent der Unternehmen mit nein beantwortet.

„Insgesamt ist mein Eindruck, dass in vielen Unternehmen mit UK-Geschäft heute eine gewisse Zuversicht herrscht, dass ein harter Brexit vermieden und das Thema aus Unternehmersicht zu bewältigen sein wird“, sagte Prof. Dr. Müller. Die Geschäfte liefen nach wie vor, der „Brexit-Schock“ sei ausgeblieben und die Unternehmen seien im internationalen Handel oft schon so erfahren, dass sie mit Themen wie Zollabwicklung, unterschiedlichen nationalen Zulassungsprozessen, standort¬spezifische Rechtsnormen u. ä. im Geschäft mit Drittstaaten vertraut sind. „Die Themen, die mit dem Brexit auf die Unternehmen zukommen, sind in der Regel also kein neues Terrain.“ An die Politik richtete der IHK-Präsident die Erwartung, die Zeit bis Ende 2020 zu nutzen und ein umfassendes Freihandelsabkommen mit UK zu verabreden. „Die Unternehmen brauchen so rasch wie möglich Planungssicherheit, möglichst freien Warenverkehr und möglichst wenig zusätzlichen Verwaltungsaufwand.“

Prof. Gabriel Felbermayr, Ph.D., Leiter des ifo Zentrums für Außenwirtschaft, sagte: „Neben seinen Vorteilen in der Finanzbranche und bei unternehmensnahen Dienstleistungen kommt Hessen auch sein ausgewogenes Exportmarkt-Portfolio zu Gute. In turbulenten Zeiten ist Diversifizierung das Gebot der Stunde. Ich warne übrigens davor, mit der City of London und anderen europäischen Finanzmetropolen in einen teuren und potentiell destabilisierenden Standortwettbewerb über Regulierung und Besteuerung einzutreten.“ +++