Blick auf die Gastronomie – Langmut und Vertrauen

Gastbeitrag von Julius Wagner Hauptgeschäftsführer Dehoga DEHOGA Hessen e.V.

Nun – bald im 15. Monat der Pandemie – hört man hier und da, dass die geschlossene Gastronomie jedenfalls durch die staatlichen Hilfsprogramme gut durch die Krise gebracht wird. Insbesondere der Bundeswirtschaftsminister freut sich öffentlich über eine historisch niedrige Insolvenzrate in Deutschland und sieht daher auch keinen Anlass, das Insolvenzrecht weiter zu pausieren, wie es in den vergangenen Monaten geschehen ist.

Und genau dazu gestatten Sie mir ein Wort: Zu Beginn des zweiten bis heute andauernden Lockdowns der Gastronomie im November 2020 wurden sog. „November- und Dezemberhilfen“ versprochen. Für die Zeit von Januar bis Juni 2021 läuft aktuell das Bundesprogramm „Überbrückungshilfe III“. Mit Blick darauf, dass auch die Verwaltung ihre Zeit braucht, um ein durchaus nennenswertes Hilfsprogramm rechtsstaatlich umzusetzen, hatte man konsequent die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages im Falle drohender Überschuldung ausgesetzt. Macht (volkswirtschaftlich) Sinn. Die staatlich verordnete Schließung führt zunächst zum abrupten Umsatzstopp in den Unternehmen während Verträge Bestand behalten und die Fixkosten weiterlaufen. Die Pausetaste ist gedrückt. So galt dies bis dato auch für das Insolvenzrecht.

Ich kann Ihnen von tausenden persönlichen Schicksalen an dieser Stelle berichten. Doch nehmen wir diejenigen, die fernab des Verlustes ihrer seelischen Kraft und ihres Glaubens, es mit schlichten betriebswirtschaftlichen Zahlen als Kaufleute zu tun haben, hier in den Blick. Von den rund 25.000 Anträgen auf die „November- und Dezemberhilfen“ allein in Hessen stammen über 60 Prozent aus Hotellerie und Gastronomie. Bis heute sind über 363 Millionen Euro der „Winterhilfen“ ins hessische Gastgewerbe geleistet worden. Das macht in erster Linie die Betroffenheit deutlich. Das Programm ist heute zu 90 Prozent abgeschlossen. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht galt dabei immer nur für die Unternehmen, die Anspruch auf Hilfen, diese jedoch noch nicht erhalten haben. Die noch offenen 10 Prozent betreffen größere Betriebe; Unternehmen unserer sonst kleinst- und kleingewerblich geprägten Branche, die als große Arbeitgeber und echte Leistungsträger gelten. Das lange Warten auf die existentiell notwendigen Hilfen hat Folgen. Rücklagen müssen in großem Umfang aufgebraucht, Eigenkapital – wo möglich – zusätzlich eingebracht, Verpflichtungen gestundet und Kredite aufgenommen werden.

Das wesentliche Element unserer, ja jeder Wirtschaftsordnung ist Vertrauen; ein Urprinzip des Handels: ‚Do ut des‘ – ‚Ich gebe, damit Du gibst.‘ Dieser römische Grundsatz bildet den Ausgangspunkt für über 2.000 Jahre Vertragsrechtsgeschichte. Wirtschaft basiert auf stabilen Regeln und einem gemeinsamen Wertekodex. Wer also nun all seine Kraft aufbringt, seine Unternehmung und seine Mitarbeitenden zu stützen, zu „beatmen“, der glaubt an die Zukunft, die des eigenen Unternehmens und die der Ordnung, auf der es aufgebaut wurde. Und ganz konkret vertraut er auf die zugesagte staatliche Unterstützung im Kampf gegen die Pandemie. Und gerade die lässt auf sich warten, ist kompliziert und keinesfalls mit der Sicherheit ausgestattet, sie nicht wieder zu verlieren. Da ist eine Weigerung der Bundesregierung, für eben jene Wartenden das Insolvenzrecht bis zum Erhalt der Kompensationsgelder weiter auszusetzen nicht gerade das, was auf das ohnehin beanspruchte Vertrauenskonto einzahlt.

Diese Facetten der Krise für die Unternehmer des Gastgewerbes sind nur ein Ausschnitt aus dem Mosaik an Herausforderungen, die allesamt dazu beitragen, die Haltung und den Glauben an die Zukunft schwer zu belasten. Die Bundesregierung (und die Länder) sind in der verfassungsmäßigen Pflicht, Leib und Leben ihrer Bürger zu schützen, mithin Gefahren der Gesundheit abzuwehren. Nach 14 Monaten der Krisenbewältigung, in der vieles schief gelaufen sein mag, ist doch Schlimmes verhindert worden, was der Blick in andere Teile der Welt aufs Dramatischste bestätigt. Mit der sog. „Bundesnotbremse“ wird nicht nur den Unternehmen klar aufgezeigt, was z.B. ab einer Inzidenz von 100 passiert, ja schließt. Angesichts der Summe all dessen aber, ist die Zeit gekommen, die Erfahrung vorhanden und, noch wichtiger, ist es dringend geboten, den Menschen die Deklination nach „unten“ verlässlich aufzuzeigen: Was geschieht konkret bei einer Inzidenz unter 100? Vertrauen braucht diese Verlässlichkeit. Dazu muss man aber den beherzten Schritt gehen und einen Plan offen legen und verbindlich stellen. Denn kein Unternehmer, kein Gastronom ist angetreten, um seinen Betrieb bis ultimo auf Staatskosten zu halten; jedenfalls nicht, wenn er nicht die wertvollste Sicherheitsleistung des Staates gegenüber der Krise erhält: Vertrauen.

Wir, die im Verband für die Branche Arbeitenden in Ehren- und Hauptamt, die Unternehmer und ich vermute auch Sie, müssen unseren Beitrag dazu leisten, Stabilität und Wohlstand zu erhalten und gegen die Erschütterungen, die diese Zeit hervorruft, abzusichern. Und diese sind immens, auch da viele nicht in ihrer Existenz derart Betroffene sie als solche nicht wahrnehmen. Gerade das aber ist gefährlich. Umso mehr hat der Staat die Aufgabe, auch über die Krise hinaus denselben Beitrag zu leisten und seine Glaubwürdigkeit zu bewahren. Derweil hofft das Gastgewerbe auf Ihre Treue zur Gastronomie und schließlich auf den Langmut der Wirte. +++