
Eine Woche nach der Vorstellung des Abschlussberichts der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs hat sich die Bistumsleitung Fulda am Donnerstagvormittag erstmals ausführlich öffentlich geäußert. In einem Pressegespräch im Bonifatiushaus betonten Bischof Dr. Michael Gerber, Personalchefin Beate Lopatta-Lazar und Generalvikar Dr. Martin Stanke die Bedeutung einer transparenten, selbstkritischen und nachhaltigen Aufarbeitung – aus eigener Verantwortung, nicht unter äußerem Druck.
„Die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt ist ein zentrales Anliegen und eine dauerhafte Verpflichtung zugleich“, so der Tenor der Bistumsleitung. Das Gespräch wurde live übertragen – ein Signal für Offenheit und gemeinschaftliche Verantwortung. Alle Mitarbeitenden des Bistums waren eingeladen, die Übertragung zu verfolgen.
Tiefes Erschrecken über dokumentiertes Leid
Der am 17. Juni veröffentlichte Bericht dokumentiert systemische Missstände und schweres persönliches Leid. Die Unabhängige Kommission hatte darin strukturelle Versäumnisse im Bistum Fulda seit 1945 aufgearbeitet. Die Leitung zeigte sich erschüttert über die dokumentierten Fälle und bekräftigte, dass Aufarbeitung konkrete Schritte und eine langfristige Veränderungskultur erfordere. Bischof Gerber, der seit 2019 im Amt ist, machte deutlich, dass die Institution sich nicht aus öffentlichem Druck, sondern aus innerer Überzeugung ihrer Verantwortung stelle. „Worte allein genügen nicht – wir werden an unserem Handeln gemessen“, erklärte er.
Reformbedarf in der Priesterausbildung
Ein zentraler Punkt des Berichts: schwerwiegende Defizite in der Priesterausbildung vergangener Jahrzehnte. Trotz Warnungen seien Männer geweiht worden, die bereits in ihrer Ausbildung durch problematisches Verhalten aufgefallen seien. Bischof Gerber berichtete, in seiner bisherigen Amtszeit sechs Priester aus dem Amt genommen zu haben – darunter zwei wegen sexualisierter Gewalt. In mindestens drei Fällen seien Warnhinweise bereits während der Ausbildung ignoriert worden. „Die menschliche Reife muss zentrale Voraussetzung für die Priesterweihe sein“, betonte Gerber. In seiner Funktion als Vorsitzender der Kommission für Geistliche Berufe auf Bundesebene setzt er sich für tiefgreifende Reformen ein – aus fachlicher und persönlicher Erfahrung als früherer Leiter eines Priesterseminars.
Prävention als Teil moderner Personalführung
Auch die Personalverantwortliche Beate Lopatta-Lazar sprach sich für ein ganzheitliches Verständnis von Personalführung aus. Neben Strukturveränderungen brauche es Haltung und Praxis. „Wir begleiten unsere Mitarbeitenden systematisch über ihre gesamte Berufslaufbahn – mit Coaching, Supervision und gezielter Qualifizierung“, so Lopatta-Lazar. Besonders wichtig sei ihr auch die gezielte Förderung von Frauen in kirchlichen Führungspositionen. „Es geht nicht darum, alles sofort zu lösen. Aber es geht darum, jetzt die richtigen Fragen zu stellen und glaubwürdig zu handeln“, sagte sie.
Struktureller Wandel und neue Fachstelle
Generalvikar Dr. Martin Stanke betonte, dass Missbrauch kein individuelles, sondern auch ein strukturelles Problem sei. Daher müssten Entscheidungs- und Leitungsstrukturen grundlegend reformiert werden – partizipativer, transparenter, mit klaren Verantwortlichkeiten. Eine neue Fachstelle soll künftig die Bereiche Prävention, Intervention und Aufarbeitung unter einem Dach bündeln. Die nötigen Weichen habe man bereits gestellt. Zudem werde über eine Verstetigung der Arbeit der Unabhängigen Kommission nachgedacht, deren Mandat mit dem Bericht endet. Der Bericht sei kein Schlussstrich, sondern ein Startpunkt für Veränderung, so Stanke. Besonders wichtig sei dabei die Begleitung betroffener Gemeinden: „Es braucht Konzepte, die Sprachlosigkeit überwinden und eine Kultur der Achtsamkeit ermöglichen.“
Kommissionsarbeit als Maßstab
Die Unabhängige Kommission war 2021 eingesetzt worden. Sie arbeitete nach bundesweit einheitlichen Standards und unabhängig von der Kirchenleitung. Zwei Arbeitskreise prägten die Aufarbeitung: „Betroffene hören“ – mit vertraulichen Gesprächen außerhalb kirchlicher Räume – und „Akteneinsicht“, mit der systematischen Auswertung von mehr als 800 Personalakten. Unterstützt wurde die Kommission von externen Fachleuten, darunter pensionierte Kriminalbeamte. Geleitet wurde sie vom früheren Fuldaer Oberbürgermeister Gerhard Möller.
Ein langer Weg – aber kein Rückweg
Die Bistumsleitung Fulda macht deutlich: Die Aufarbeitung ist keine Episode, sondern eine langfristige Verpflichtung. Es gehe um strukturelle Erneuerung, glaubwürdiges Handeln und einen Kulturwandel in der Kirche. Der Bericht ist Mahnung und Auftrag zugleich – für ein Bistum, das den Mut aufbringen will, aus Fehlern zu lernen und Verantwortung konsequent zu übernehmen.
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