Bischof Gerber: Glaube ist mehr als eine Idee

Bischof Dr. Michael Gerber. Foto: M.Seidel

Weihnachten hat nach den Worten von Bischof Dr. Michael Gerber eine „kantige Botschaft“. Gott erscheine nicht als eine Idee, sondern in der Gestalt des Kindes von Bethlehem. Das betonte der Fuldaer Bischof am ersten Weihnachtsfeiertag in seiner Predigt im Fuldaer Dom. Der christliche Glaube richte den Menschen damit nicht an abstrakten Konzepten aus, sondern an der Konkretheit menschlichen Lebens. Zugleich verband Gerber die Weihnachtsbotschaft mit einem deutlichen Appell gegen Entmenschlichung und für Empathie. „Empathie ist im Licht von Weihnachten keine Schwäche, sondern die entscheidende Stärke des Menschen“, sagte er.

Weihnachten deutete Gerber als Fest der Menschwerdung Gottes, zugleich aber auch als Fest der Menschwerdung des Menschen. Zwar seien Menschen von Anfang an Mensch, dennoch bleibe Menschwerdung ein lebenslanger Prozess. Gerade dieses Bewusstsein müsse gestärkt werden angesichts vieler Vorgänge in der Welt, „für die das Wort von der Entmenschlichung passt“, sagte der Bischof mit Blick auf aktuelle Kriege, politische Machtspiele und gesellschaftliche Spaltungen.

In diesem Zusammenhang erinnerte Gerber an ein Zitat aus einem Podcast des Unternehmers Elon Musk, wonach Empathie die „fundamentale Schwäche der westlichen Zivilisation“ sei. Dieser Aussage widersprach der Bischof ausdrücklich und stellte ihr die Perspektive von Weihnachten entgegen.

Der Mensch zeichne sich dadurch aus, dass er eine Vorstellung von Vergangenheit und Zukunft habe, sagte Gerber. Er könne Ideen verfolgen und sich an übergeordneten Zielen orientieren. Dadurch sei er fähig, aus dem Kreislauf von Bedürfnis und Bedürfnisbefriedigung auszubrechen. Der Mensch könne sich in seiner Reaktion auf aktuelle Bedürfnisse zurücknehmen, um eines höheren Zieles willen.

Zugleich warnte der Bischof vor den Gefahren großer Ideen und Weltdeutungen, wenn sie den Blick für konkrete Menschen verlieren. Die großen Ideologien des 20. Jahrhunderts hätten gezeigt, dass das Streben nach einer vermeintlich großen Idee furchtbare Folgen haben könne für jene Menschen, die dieser Idee im Weg zu stehen schienen.

Vor diesem Hintergrund verstand Gerber Weihnachten als eine kritisch-prophetische Unterbrechung. „Weihnachten hat für uns die kantige Botschaft: Das letzte Ziel deines Lebens, das, wonach du, Mensch, dich ausrichtest, kann nicht einfach eine Idee sein“, sagte er. Der Mensch sei in der Gefahr, dass auch diese Idee im Kern nur eine Überhöhung und Projektion eigener Wünsche und Bedürfnisse sei.

Weihnachten stelle Christen deshalb die prüfende Frage, ob der Gott, an den sie glauben, letztlich auch nur eine Idee sei, betonte Gerber. „Ist Gott die Projektion deiner Bedürfnisse und Wünsche mit allen fatalen Folgen, die das für andere, für Andersdenkende haben kann?“, fragte er.

Dem setzte der Bischof die Konkretheit des Weihnachtsgeschehens entgegen. Gott erscheine nicht als Idee, sondern zeige sich „in der Gestalt eines Menschen, in der Gestalt eines ganz konkreten Menschen, in der Gestalt des Kindes von Bethlehem“. Die letztgültige Orientierung des christlichen Glaubens sei daher keine Idee, sondern ein konkreter Mensch.

Dabei gehe es ausdrücklich nicht um ein Idealbild oder um eine abstrakte Vorstellung vom Menschen. Weihnachten erzähle nicht von einer Theorie. Gott zeige sich in der Konkretheit eines Kindes, das in prekäre Lebensverhältnisse hineingeboren werde, und in der Bedürftigkeit eines Neugeborenen.

Gerber verband dies mit dem lebenslangen Prozess der Menschwerdung. Entscheidend sei, ein Verhältnis zur eigenen Bedürftigkeit zu finden. „Menschwerdung: Nur das, was ich als Realität annehme, kann ich auch gestalten“, sagte er. Wer Grenzen und Verletzungen als Teil seiner selbst annehme, mindere die Gefahr, eigene Bedürftigkeit auf andere Menschen zu projizieren und sich an ihnen abzuarbeiten.

Empathie sei vor diesem Hintergrund keine Schwäche, sondern eine Stärke. Sie bedeute, ein Leben lang nach einem möglichst unverstellten Zugang zu den eigenen Leidenschaften und Leidenserfahrungen zu suchen. Menschwerdung geschehe dort, wo Menschen sich wechselseitig wahrnähmen und ernst nähmen – in ihrer Konkretheit, ihrem Gewordensein sowie in ihren Hoffnungen und Enttäuschungen. Empathie bedeute, den Leitstern des eigenen Lebens nicht in einer Idee zu suchen, sondern sich von der Konkretheit des menschlichen Lebens herausfordern zu lassen. Orientierungspunkt bleibe dabei Jesus Christus, der in seiner Zuwendung zum Menschen sichtbar werde.

Weihnachten erzähle von einem neuen Anfang Gottes mit dem Menschen, sagte Gerber. Gott habe den Menschen angenommen, „in und mit unserer Bedürftigkeit“. Daraus wachse eine Dynamik: Wer erfahre, angenommen zu sein, könne auch sich selbst annehmen und in der Folge andere Menschen annehmen. Weihnachten öffne zugleich den Blick auf die Größe und Würde des eigenen Menschseins sowie auf die Verantwortung für andere.

Bereits in der Heiligen Nacht hatte Gerber in der Christmette im Fuldaer Dom die unveräußerliche Würde des Menschen und das Angenommensein vor Gott als Kern der Weihnachtsbotschaft hervorgehoben. Dabei sprach er auch sehr persönlich über seine Krebserkrankung. Die Feier der Heiligen Nacht war sein erster öffentlicher Gottesdienst im Fuldaer Dom seit der Diagnose Ende Juni, nachdem Operation, Chemotherapie und Reha gut verlaufen waren.

Das Pontifikalamt am ersten Weihnachtsfeiertag wurde festlich musikalisch gestaltet. Der Fuldaer Domchor und das Domorchester unter der Leitung von Domkapellmeister Franz-Peter Huber führten die „Missa per il Santissimo Natale“ von Giovanni Alberto Ristori auf. An der Domorgel spielte Domorganist Max Deisenroth.

Den Festgottesdienst am zweiten Weihnachtsfeiertag (26. Dezember) wird ab 10.00 Uhr Weihbischof und Domdechant Prof. Dr. Karlheinz Diez zelebrieren. Die musikalische Gestaltung übernimmt der JugendKathedralChor Fulda (A- und B-Chor) unter der Leitung von Domkapellmeister Franz-Peter Huber. An der Orgel spielt erneut Domorganist Max Deisenroth. +++


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