Bericht: EU war in Coronakrise zunächst überfordert

Einzelne Länder kümmerten sich nur noch um sich selbst

Nur Tage, bevor Italien die EU-Kommission verzweifelt um Schutzausrüstung gegen das neue Coronavirus Sars-CoV-2 bat, schickten EU-Staaten noch 23 Tonnen an Handschuhen, Masken und Desinfektionsmittel nach China. Für Italien war drei Tage später keine Hilfe mehr möglich. Schon am 27. Januar regte Rom ein Treffen der EU-Gesundheitsminister an, um den Umgang mit Covid-19 zu koordinieren; doch das Treffen fand erst drei Wochen später statt. Mitte März unternahm die EU-Kommission noch einmal einen Versuch, einen gemeinsamen Vorrat an Masken für alle Mitgliedstaaten anzulegen; doch die einzelnen Länder kümmerten sich nur noch um sich selbst. Es sind drei Beispiele aus einer umfassenden Recherche, die das in London ansässige Bureau of Investigative Journalism (TBIJ) mit europäischen Medien geteilt hat, in Deutschland mit NDR, WDR und SZ.

Die Journalisten haben vertrauliche Gespräche mit EU-Beamten geführt, Ergebnisprotokolle eingesehen und vertrauliche Dokumente ausgewertet. Zusammen zeigt sich, wie hilflos die EU und ihre Mitgliedstaaten auf die Coronakrise reagierten, wie wenig krisenfest das Krisenmanagement der EU zu Beginn der Pandemie war und wie gering die Solidarität. Die EU-Kommission betonte indes auf Anfrage, sie habe „sehr früh vor der Gefährlichkeit des Coronavirus gewarnt, noch vor der WHO“. Zwar reagierte die EU-Kommission mitunter früh, doch es fiel ihr schwer, eine konzertierte Reaktion ihrer Mitgliedstaaten zu koordinieren. So nahmen an der ersten, vom Health Security Committee der EU-Kommission bereits für den 17. Januar anberaumten Telefonkonferenz zum Thema Covid-19 nur zwölf der 27 EU-Mitgliedstaaten teil, darunter Deutschland. Nicht einmal die Hälfte der Länder fand das Thema demnach wichtig genug. Auch der Vertreter Italiens war nicht dabei. Auf Anfrage teilte sein Büro mit, dass er die E-Mail mit der Einladung nicht erhalten habe. Spätere Konferenzen dieses Komitees waren Teilnehmern zufolge schon strukturell bedingt wenig effektiv. So wurden Treffen nur für eine Stunde anberaumt – bei etwa hundert Teilnehmern. Noch dazu tagte das Committee während der Krise nur etwa einmal pro Woche, lediglich in den beiden letzten Januarwochen zweimal; viel zu wenig, um schlagkräftig auf die immer neuen Nachrichten rund um Covid-19 zu reagieren.

Noch am 13. Februar, als das von Italien schon Ende Januar erbetene Treffen der EU-Gesundheitsminister endlich stattfand, wiegten sich viele EU-Länder in Sicherheit vor Covid-19. Die Antwort auf die Bedrohung sei „prompt und effektiv“ gewesen, erklärte der kroatische Gesundheitsminister, der das Treffen leitete. Als die Krise fortschritt, begannen sich die Mitgliedstaaten vornehmlich um sich selbst zu kümmern. Sie kontaktierten einzeln chinesische Hersteller – und wurden so zu einer Konkurrenz füreinander und für den zentralen EU-Vorrat, den die Kommission aufzubauen versuchte. Insgesamt erließen 15 Mitgliedstaaten Restriktionen, die andere EU-Staaten trafen, und informierten ihre Nachbarn nicht einmal. Lastwagen mit Schutzausrüstung wurden an einigen Grenzen Europas gestoppt. EU-Regierungschefs beschuldigten einander gegenseitig, die Solidarität und den gemeinsamen Binnenmarkt zu zerstören. Als die EU-Gesundheitsminister am 6. März ihr zweites Treffen abhielten, war der Appell von Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides somit nur noch ein frommer Wunsch: „Ich bitte Sie alle heute, sich dazu zu verpflichten, gemeinsam, offen und transparent im Geiste der Solidarität zusammenzuarbeiten.“ +++