Idyllisch wohnt das Ehepaar im Thüringer Wald. In Ütteroda, einem Ortsteil der Gemeinde Krauthausen nahe Eisenach. Der Blick ist einladend. Fast ist man geneigt zu sagen, es ist dort beheimatet, wo andere Urlaub machen. Ein Blick auf die Wartburg. Ein Blick auf den Inselsberg. Der Grund des Besuches aber ist ein anderer. Bernd Fichtner, Handballer des ehemaligen Bundesligisten TV Eitra, erhielt 2008 die Diagnose, an Multipler Sklerose erkrankt zu sein. Seitdem ist ein Rollstuhl sein Begleiter. Die wichtige Botschaft aber: Er ließ und lässt sich – mit Hilfe seiner Ehefrau – davon nicht unterkriegen und rief eine Rollstuhl-Handball-Mannschaft beim ThSV Eisenach ins Leben. Lesen Sie eine zweiteilige Inklusions-Geschichte, die die Herzen berührt.
Vorab die zentrale Frage, wie es ihm geht? „Mir geht es, in Anführungszeichen, sehr gut“, sagt „Fichte“, wie er seit Jahr und Tag von allen, die ihm wohlgesonnen sind – und das sind eine ganze Menge – genannt wird. Überzeugt und überzeugend wirkt er in allem, was er so sagt. Sicher, fast ein bisschen dogmatisch. „Ich hab‘ doch alles. Eine kaufmännische Ausbildung, eine handwerkliche Ausbildung – und jetzt bin ich systemischer Berater und Coach im Bereich der Psychologie tätig.“ Fichte schiebt nach, was sich dahinter verbirgt. „Kürzlich, von September vergangenen bis März diesen Jahres, hab‘ ich nochmal die Schulbank gedrückt und einen Abschluss bei der IHK gemacht. Ich arbeite zwei Tage in der Woche in der Heinrich-Mann-Klinik in Bad Liebenstein, in der Reha-Klinik. Ich berate und unterstütze Patienten.“ Fichte wird im Juli 60. Seit fast 23 Jahren ist er mit Beate, einer Ex-Handballerin, die ebenfalls im medizinischen Dienst arbeitet, verheiratet. Ein starkes Paar. Bald erkennt man: Beide bringen viel Positives mit. Viel Überzeugung. In beiden wohnt das Positive.
2008 bekam er die Diagnose. Es spricht für Fichte, dass er, auch wenn es jetzt so lange her ist, so offen, so bewusst, so realitätsnah darüber sprechen kann. Das gilt auch für seine Ehefrau Beate. „Ich war nach meiner Knie-OP in der Reha, im Aufbautraining, auf dem Laufband und dabei, mich zurück zu arbeiten ins Leben. Plötzlich bin ich gestolpert, mit dem gesunden Knie, und hingefallen. Ich sollte das neurologisch untersuchen lassen. Ein Gutachter sagte mir: Vielleicht ist es ein Tumor im Kopf oder aber MS.“ Und Fichte macht den Fortlauf der Geschichte rund. „Die Tests in der Arztpraxis waren alle gut. Das Hirnwasser im Rückenmark aber war trüb.“ Das war nicht in Ordnung. Fichte bekam die Diagnose: Sie sitzen irgendwann im Rollstuhl. „Zwei Tage später bekam ich auf den Kopf gesagt: Sie haben Multiple Sklerose. Es war alles schwarz, dunkel, ein Loch.“
Beate drückt das so aus. Speziell sei die Situation, „ein künstliches Kniegelenk oder andere Dinge heilen. Bei MS gibt es dieses Datum nicht.“ So schmerzhaft die Diagnose auch war, für Fichte war dies ein Weg nach vorn, der Aufbruch in ein neues Leben quasi. Und heute sagt Fichte: „Ich hätte mich ja auch aufgeben können. Doch das war und ist keine Option. Es gibt Hindernisse und Gräben – aber eben auch das Ziel, das man sich stellt, erreichen zu wollen.“ Fichte wollte. Und wie willensstark und ehrgeizig ihr Mann ist, das hat man nicht nur früher in der Karriere bis hoch zur Bundesliga gesehen, das zeigte sich auch jetzt, im neuen Kapitel seines Lebens.
Als wär‘s ein Stück von mir. Ja, wieder äußert sich seine Ehefrau. „Wille und Ehrgeiz? Das hat man auch gesehen bei seinen Halbmarathons.“ Mit Handicap. Im Rollstuhl. Dreimal hat Bernd die schon absolviert, immer im April, in Berlin. „Der erste war sein schwerster“, sagt Beate, weil er nicht wusste, was auf ihn zukam. Mit Handbike fährt er, mit Elektronik. Und jetzt strahlen Fichtes Augen. Wieder quillt Ehrgeiz hervor. Wieder tritt er mit Überzeugungskraft auf. „Das Brandenburger Tor wollte ich sehen.“ Und Autofahren, das kann Fichte auch. Er hat ein behindertengerechtes, umgebautes Auto.
Doch schon streicheln oder berühren wir das Thema Inklusion. „Es hat sich schon einiges zum Positiven hin geändert und entwickelt“, sagt Fichte, heute Inklusionsbeauftragter des Thüringischen Handballverbandes, in puncto Akzeptanz, Wahrnehmung, Unterstützung. Bordsteine würden abgesenkt, es gebe mehr behindertengerechte Toiletten – das Etikett der Behinderung ist nicht unbedingt passend, sachgerecht, irreführend und abwertend –, dennoch seien Menschen mit Handicap auf „die Hilfe der Gesunden“ angewiesen, was ja auch alles andere als schlimm ist im Zusammenleben, falls es denn eines gibt. „In Deutschland sind wir noch Nachzügler“, weiß Fichte, „aber da hat sich schon einiges verbessert.“
Für die Kinder war es wichtig, dass Multiple Sklerose zwar eine bittere Botschaft, aber nicht vererbbar ist. Um drei Kinder handelt es sich. Eines aus Bernds erster Ehe, zwei aus seiner jetzigen mit Beate. Es sind allesamt Töchter. Und eine davon, die 24-jährige Lara-Sophie, spielt bei den Spreefüchsen Berlin in der Zweiten Bundesliga. Was sie von Bernd mitbekommen hat? „Den Ehrgeiz“, sagt er – und strahlt wieder. Seine Augen leuchten. „Ja, aber noch eher das Talent“, fügt Beate hinzu. Für Sommer planen Fichtners einen dreiwöchigen Aufenthalt in Australien. Kira, eine andere Tochter, arbeitet dort als Au-Pair-Kraft.
Auch Mut und Vertrauen sind bei der Überwindung der Krankheit und Lebenslage natürlich wesentliche Begleiter. Wieder klingen Fichtes Worte plausibel. Er hat den Prozess nicht überwunden, lebt aber noch in ihm. „Ich hatte von Anfang an einfach das Vertrauen in die Leute, die zum Rollstuhl-Handball kamen.“ Einen wichtigen Aspekt schiebt er nach. „Die Entwicklung war und ist, dass sie eine Bühne haben, auf der sie sich präsentieren können.“
Ob Fichte seine Krankheit besiegt habe? „Nein“, betont er, „ich lebe mit ihr. Aber sie bestimmt mein Leben nicht.“ Es wundert nicht, dass er, reich an Erfahrungen mit der Krankheit und dem Sport, anfügt: „Das Leben ist mehr als ein Rollstuhl.“ Soll heißen: „Der Rollstuhl ist für mich ein Begleiter wie mein Hemd oder meine Hose. Er gehört zu meinem Leben, aber er bestimmt es nicht.“ Doppelte Aussage – aber man hat irgendwie das Gefühl, sie nicht oft genug sagen zu können. Wer wünscht Beate und Bernd Fichtner nicht, dass sie ihre positive, stets nach vorn gerichtete und überzeugende Art beibehalten können?
Lesen Sie im zweiten Teil: Wie das Projekt Rollstuhl-Handball entstand, wie Idee und Umsetzung funktionierten. Außerdem erfahren Sie wenige Tage später, wie es mit dem Thema Inklusion im Sport in und um Fulda bestellt ist. +++ rl
Bernd ich bewundere dich wie du mit deiner Erkrankung mutig entschlossen um gehst. Bleibe dir selbst treu , wünsche dir weitere liebe Mitmenschen die dich in deiner Arbeit unterstützen. Bleib gesund und zuversichtlich du schafft das !!