Eine Verbesserung der Lebensumstände von Menschen mit Behinderungen und gleichzeitig eine willkommene Hilfe für Unternehmen in den Fängen des Fachkräftemangels? Das verspricht die Helfer-Ausbildung in der Landwirtschaft bei antonius.
Die Gesellschaft befindet sich stets im Wandel und stellt Betriebe dabei immer wieder vor neue Herausforderungen. Das bekommen auch die Landwirte zu spüren. Denn während früher ein Großteil der Arbeitskraft aus dem engeren Familienkreis kam, wird es heutzutage immer schwieriger, den Nachwuchs für den Beruf zu begeistern. Genau an diesem Punkt setzt die Helfer-Ausbildung in der Landwirtschaft an. Sie ermöglicht Menschen mit Behinderung den Einstieg in den Arbeitsmarkt und bietet den Landwirten gleichzeitig wertvolle Fachkräfte.
Dabei sieht die Realität für Menschen mit Behinderungen oft anders aus. In vielen Fällen ist eine herkömmliche Ausbildung für sie nicht möglich und der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt somit schwierig. Als Option bleibt dann nur noch die Werkstatt für Behinderte.
Genau dieses Szenario soll mit der Ausbildung von Helfern für die Landwirtschaft aber verhindert werden. Denn anders als die Vollausbildung zum Landwirt oder zur Landwirtin wird diese Ausbildung theoriereduziert gestaltet und ist somit ideal für Menschen, die mit dem schulischen Teil einer Ausbildung Schwierigkeiten haben. Der praktische Teil ist jedoch vergleichbar mit der herkömmlichen Ausbildung in der Landwirtschaft, erklärt Thomas Peine, Health-Manager Milchvieh am antonius Hof. Lediglich der Sachkundenachweis für Pflanzenschutz fehlt den Absolventen der Helfer-Ausbildung.
Wieso dieses Konzept gerade in der Landwirtschaft gut funktioniert, erläutert Marie-Claire von Spee, Pressesprecherin des Hessischen Bauernverbands: „Insbesondere in der Landwirtschaft können Landwirtschaftshelfer ganz nach ihren individuellen Möglichkeiten unterstützende Tätigkeiten in den Betrieben übernehmen und sind somit eine große Bereicherung für die Betriebe. In der Landwirtschaft fallen beispielsweise häufig Routinearbeiten an, wobei die Landwirtschaftshelfer sehr gute Arbeit leisten.“
Auch Julia Trabert, Ausbildungsleiterin des Landesbetriebs Landwirtschaft Hessen (LLH), sieht in der Ausbildung „riesiges Potenzial“ und hofft auf einen hessenweiten Ausbau des Konzepts. „Das ist eine Option, auf die mehr Fokus gelegt werden sollte. Das antonius Netzwerk engagiert sich und macht sich stark dafür.“ Laut Trabert gehören sechs der elf aktiven Helferinnen und Helfer in Hessen zum antonius Netzwerk – also mehr als die Hälfte. „Da ist auf jeden Fall Luft nach oben in Hessen“, findet die Ausbildungsleiterin.
Auch der Hessische Bauernverband bezeichnet den antonius Hof als „überregional führenden Modellbetrieb“ und sieht darin ein „sehr gutes Beispiel dafür, wie die Helfer-Ausbildung und die spätere Arbeit in der Landwirtschaft aussehen können“.
Gründe für einen hessenweiten Ausbau gibt es indes genug: Vor allem ermöglicht die Ausbildung jungen Menschen mit Behinderungen einen selbstgewählten Berufsweg. Das resultiert nicht nur in mehr Unabhängigkeit und Selbstständigkeit. Die Teilhabe am Arbeitsmarkt kann auch das Selbstwertgefühl der Absolventen stärken.
Das bestätigt Franziska Bickert, die im Juli die Abschlussprüfung der Helfer-Ausbildung mit Bravour bestanden hat und mächtig stolz auf ihre Leistung ist. Die 24-Jährige ist froh darüber, dass sie sich für die Ausbildung in der Landwirtschaft entschieden hat. Denn diese ermöglicht ihr nun den Schritt heraus aus dem antonius Netzwerk, nachdem sie zuvor den Bildungsweg von antonius komplett durchlaufen hatte. „Jetzt stehen mir viele Türen offen“, erkennt sie. Einen Arbeitsvertrag für eine Beschäftigung nach der Ausbildung hat Bickert auch schon in der Tasche.
Das gilt übrigens auch für die anderen Absolventen von antonius. Insgesamt drei haben im Juli ihre Abschlussprüfung bestanden. Ein weiterer Auszubildender wird diese im Herbst ablegen. Alle vier Prüflinge haben schon feste Arbeitsverträge für die Zeit nach der Ausbildung. Und auch von den Azubis, die nun ihre Zwischenprüfung abgelegt haben, haben alle bestanden.
Die Ausbildung hat allerdings nicht nur Vorteile für die Azubis. Auch für Unternehmen sind die Landwirtschaftshelfer eine willkommene Unterstützung. Schließlich ist der Fachkräftemangel aktuell ein großes Problem – auch in der Landwirtschaft. „Da viele Erwerbstätige in der Landwirtschaft bereits älter sind, die Familienarbeitskräfte weniger werden und der Wettbewerb mit anderen Branchen steigt, ist die Suche nach Mitarbeitern oft nicht leicht“, informiert die Pressesprecherin des Hessischen Bauernverbands. Jeder, der sich für die Landwirtschaft entscheidet, könne daher dem Fachkräftemangel entgegenwirken.
Für die Region zeichnet Sebastian Schramm, Geschäftsführer des Kreisbauernverbands Fulda-Hünfeld, ein ähnliches Bild: „Es ist sehr gut für die landwirtschaftlichen Betriebe, dass dieses Potenzial vorhanden ist.“ Die Ausbildung helfe vor allem in Zeiten, in denen Unternehmen auf jede Fachkraft angewiesen sind. „Die Vermittlung von antonius in die Betriebe der Region funktioniert“, betont Schramm, räumt aber gleichzeitig ein, dass es von der Art des Betriebs abhänge, ob der Einsatz von Landwirtschaftshelfern sinnvoll ist oder nicht.
Aber weshalb ist diese Ausbildung nicht verbreiteter in Hessen, obwohl sie Vorteile für Unternehmen und Azubis mit sich bringt? LLH-Ausbildungsleiterin Trabert vermutet, dass vielen Ausbildungsbetrieben gar nicht bewusst ist, dass es diese Möglichkeit gibt. Sie erklärt, dass die Unternehmen einmalig eine Fortbildung machen müssen, damit sie Helfer in der Landwirtschaft ausbilden können. In der Region Fulda gibt es über den antonius Hof hinaus noch den Biohof von Volker Goldbach in Dipperz, der in Kooperation mit antonius Helfer ausbildet.
Die Integration von jungen Menschen mit Behinderungen in die Arbeitswelt beschränkt sich aber nicht nur auf die Landwirtschaft. Bei der Heinrich Küllmer GmbH & Co. KG in Fulda etwa sind diese ebenfalls im Einsatz. Geschäftsführer Veit Küllmer erklärt die Motivation dahinter: „Wir wollen Menschen mit Beeinträchtigung dabei unterstützen, an der auf Menschen ohne Behinderung zugeschnittenen Welt teilhaben zu können und sich dort voll und ganz zu integrieren. Wir wollen, dass die Jugendlichen auf eigenen Beinen stehen können und ihr Leben selbstständig und eigenständig gestalten können.“ +++