
Dies hier ist eine besondere Geschichte. Nicht, weil es Andreas Herzberg wollte oder sich dies gewünscht hätte. Der 67-Jährige führte die Kicker der SG Eiterfeld/Leimbach zum Klassenerhalt der Verbandsliga - darüber berichteten wir in Teil eins. Jetzt erfahren Sie einiges über den Menschen. Seine Persönlichkeit als Fußball-Trainer, die im Osten Deutschlands entstand und reifte - und im Westen ihre Fortsetzung fand.
Wie Herzberg seinen Weg zum Fußball findet, das beginnt in Berlin Ost. Sein Vater ist Jockey in Hoppegarten, der berühmten Rennbahn im Pferdesport. „Ich hatte aber immer Respekt vor einem Vollblutpferd und konnte es mir nicht vorstellen, auf so einem Pferd zu sitzen“, erinnert er sich, „da hab‘ ich halt Fußball gespielt. Bei der TSG Hoppegarten“. Sein Vater kauft ihm Fußballschuhe, „die waren zwei Nummern zu groß“. Andreas spielt bei den Knaben. „Zwei Jahre war ich dort, dann haben die mich delegiert. Zu den Berliner Verkehrsbetrieben.“ Er kickt im Sturm. Dreimal ist Training in der Woche. Sein Aufwand ist schon in der D-Jugend immens - so, wie ihn sich viele heutzutage gar nicht mehr vorstellen können. Eine Viertelstunde sitzt er in der S-Bahn bis Lichtenberg, allein auch etwa 15 Minuten Fußweg sind es bis dorthin. Er steigt um, fährt zehn Minuten mit der Straßenbahn - ehe er noch zehn Minuten bis zum Stadion vor sich hat. Erneut zu Fuß. Damals hieß der Verein übrigens Berliner Verkehrsbetriebe, heute nennt er sich Berliner Verkehrsgesellschaft. Nach dem Training geht‘s denselben Weg zurück, gegen halb Zehn Uhr abends, oder um Zehn, oder auch halb Elf, ist er zu Hause. Bis 17 spielt er dort, sogar sein erstes Trainingslager macht er mit bei den Senioren.
Ehe ihn seine Reise zum BFC Dynamo führt. Noch im Nachwuchs schnuppert er da rein, sammelt Erfahrungen in der Nachwuchs-Oberliga. Und macht Bekanntschaft mit BFC-Größen und solchen des DDR-Fußballs wie Christian Backs, dem langen Keeper Bodo Rudwaleit, mit Andreas Thom, Thomas Doll oder Hartmut Pelka. Auch mit den drei Rohde-Brüdern, von denen Frank der bekannteste war. Die Erste des BFC, die seinerzeit auch im eigenen Land das Etikett „Stasi-Klub“ begleitet und es mit sich trägt, wo sie auch spielt, wird zehnmal hintereinander Meister. Cheftrainer ist zunächst Harry Nippert, der später von Jürgen Bogs abgelöst wird. Der ist erst Coach der Nachwuchs-Mannschaft in der Oberliga - und Andreas Herzbergs Trainer. Einige Jahre verbringt Herzberg in Hohenschönhausen im Jahn-Sportpark, dann geht er nach Lichtenberg zurück.
Ein Jahr ist er dort - und er nimmt einiges mit, das ihn als Fußballtrainer entscheidend prägen sollte. „Von Werner Schwenzfeier hab‘ ich soviel gelernt“, sagt er noch heute, „Souveränität und Ruhe“. Der Coach wird später mit Union Berlin 1968 FDGB-Pokalsieger. Nach seiner Armeezeit durchläuft Herzberg seine erste berufliche Station. Ihn zieht’s zu „WTB“, zu den „Waren täglichen Bedarfs“. Sein Abitur, das hat er sich zuvor geholt. Später studiert er Ökonomie. Fünfeinhalb Jahre. Im Fernstudium. Als Mann des Rastlosen schält er sich heraus, der Umtriebigkeit, des Wissbegierigen und Neuen. Einige Qualifizierungen schiebt er nach. In der Binnenhandels-Ökonomie. Erwirbt den Lkw-Führerschein. Und den Kran-Schein. Abwechslungsreich ist es in jedem Falle, und wenn er so überlegt heute - ohne einen Anflug von Überheblichkeit, sondern nüchtern und sachlich, sagt er, wie es seine Art ist. „Was ich so alles gemacht hab‘, das war schon krass.“
Weiter geht‘s mit der menschlichen Orientierung - jetzt im privaten Bereich. Und die ist heftig. „Ich wollte wissen, wie meine zukünftige Frau lebt. Wie das Elternhaus ist.“ Das steht in Geisa; nicht gerade um die Ecke. Andreas Herzberg entschließt sich, Martina zu besuchen, sich in das Abenteuer „Flucht“ zu stürzen. Das beinhaltet spannende und dramatische Momente. Solche, die unter die Haut gehen. Die sich an der Grenze des Existenzbedrohenden bewegen. 1980 ist es, als Herzberg aus dem NVA-Dienst entlassen wird und dieses Wagnis in Angriff nimmt. „Ich musste einen Passierschein beantragen. Der ist abgelehnt worden.“ Erwartungsgemäß. Sein künftiger Schwiegervater fädelt die waghalsige Geschichte ein. Das Spiel mit der Angst beginnt. Am Bahnhof in Eisenach holt ihn sein Schwiegervater ab. „Er hat mich in den Kofferraum seines Trabis gesteckt.“
Am Grenzkontrollpunkt in Bremen müssen sie anhalten. An einem Punkt, an dem eigentlich nicht so oft kontrolliert wird. Dachte man. Fühlte man. Sein Schwiegervater ist jetzt der wichtigste Mensch in seinem Leben, und er sagt: „Andreas, die kontrollieren doch.“ Volkspolizisten gehen Streife. Herzberg steht Ängste aus. Todesängste. Klappt es etwa nicht? Plötzlich eine Art Befreiung. „Auf einmal hörte ich Gelächter. Und mein Schwiegervater rief: Andreas, wir sind durch.“ Erleichterung und Aufatmen werden neu erfunden in diesen Momenten. Natürlich blieben Momente der Wagnis. „Es ging gut, doch beim Scheitern hätte es auch als Republikflucht ausgelegt werden können.“ Was sind schon spezielle Augenblicke im Fußball dagegen? Augenblicke, die so gern stilisiert werden; so, als gebe es nichts Wichtigeres im Leben. In Geisa angekommen, fährt der Trabi in die Garage - doch Andreas Herzberg zittert weiter, wenn auch auf anderer Ebene. „Mein Schwiegervater hat mir gesagt, dass ich mich ins Haus schleichen sollte“. Fünf Tage verbringt er dort.
Jahre später kommt die Zeit der Wende. Der deutschen Neu-Orientierung. „Meine Frau und ich hatten gesagt, wir gehen nach Geisa.“ Schon nach zwei Tagen klopft der FSV Ulstertal Geisa an. Herzberg mag Ja sagen, hat aber zunächst anderes im Kopf. „Ich will bauen und mein Haus hier hinstellen.“ 1993 ist das. Wieder blickt er zurück. Voller Stolz. Und das darf er auch. „Ich habe oben ausgebaut. Bis auf die Elektrik und die Heizung hab‘ ich alles selbst gesetzt“, bemerkt er nicht ohne Stolz.
Gehen wir ein Jahr zurück in der Zeitreise des Andreas Herzberg. 1992 beginnt seine Arbeit beim Lebensmittel-Großhändler GROMA in Fulda. Hier arbeitet er als Stellvertretender Marktleiter. Glück hat er, indem er in Hermann Schneider einen sehr fußballfreundlichen Chef hat. In der Bezirksklasse übernimmt er den FSV Ulstertal Geisa, spielt noch als 42-Jähriger - und in diesem zarten Alter schafft er mit dem Verein nach dreijährigem Engagement den Aufstieg von der Bezirksklasse in die Bezirksliga. Nach drei weiteren Jahren - Herzberg hat mittlerweile das Amt des Trainers übernommen - gelingt der Sprung in die Thüringenliga, gleichbedeutend mit der hessischen Verbandsliga. Drei Aufstiege erlebt er mit dem Verein. Eine besondere Station in seinem Leben - und auf dem Weg, den seine Erfolgsgeschichte begleitet. Hier, im grenznahen Geisa, führt er anfangs der 1990er-Jahre auch die ballorientierte Gegnerdeckung ein. Während dieser Zeit erwirbt Andreas Herzberg seine A-Lizenz in Hennef - und wird mit den A-Junioren der Spielunion Ulstertal auch Thüringen-Meister. Ein starkes Stück. Apropos Geisa: Heute lebt der Verein eher von seiner Tradition.
Sein Engagement im Nachwuchsbereich wollen wir nicht vergessen. Vier Jahre ist er im DFB-Stützpunkt tätig - anfangs in Barchfeld, später in Vacha. Seine Kollegen in dieser Zeit sind Bodo Meißner, der auch in Ausbach und Eiterfeld bestens bekannte Olaf Gabriel aus Stadtlengsfeld und Manfred Iffland, der lange für Kali-Werra Tiefenort kickt. Stellvertretend nennt Andreas Herzberg seinen Aufwand an Trainingstagen - neben seiner Arbeit. Um Dreiviertel Fünf steht er auf. Um sechs Uhr beginnt seine Arbeit in der Groma. Gegen drei Uhr nachmittags kommt er heim. Um halb Vier lädt er die Jungs ein, die um die Ecke wohnen - zum Stützpunkttraining. Von 16 Uhr bis 17.30 Uhr trainiert die Gruppe die D- und C-Junioren, von 17.30 Uhr bis 19 Uhr die B- und A-Junioren. „Nach 19 Uhr haben wir noch zur Besprechung zusammen gesessen und unsere Auswertung gemacht“, erklärt Herzberg. Gegen 21 Uhr ist er zu Hause.
Er spürt zunehmend: „Wir verlieren die Jungs aus der Rhön“. Die Stützpunktarbeit, besser: ihr Gesicht in Süd- und Westthüringen, braucht ein neues Gesicht. Sein Impuls findet Gehör - Andreas Herzberg sorgt dafür, dass in Vacha ein zweiter Stützpunkt aufgemacht wird.“ Er und Meißner kümmerten sich in der Folge um die Talente in Vacha - Gabriel und Iffland um die in Barchfeld.
Damit ist Herzbergs Trainerlaufbahn natürlich noch nicht beendet. Zwei Jahre in Kaltennordheim schließen sich an - und nach einer Pause landet er 2009 beim VfL Eiterfeld. Auch Berthold Helmke und der SV Steinbach werden auf ihn aufmerksam. Auch im Mühlengrund schlägt er ein: Im seinem ersten Jahr erreichen er und die Mannschaft Platz drei in der Verbandsliga- die bis dahin beste Platzierung der Vereinsgeschichte des SVS. Das Kapitel dort endet nicht positiv; das hat aber ausdrücklich nichts mit dem Verein zu tun. Schließlich folgt ein weiteres Teil seiner Persönlichkeitsgeschichte: der SV Borsch ist Anlaufpunkt. Gut zehn Jahre trainiert er die Mannschaft - und schafft mit ihr den Aufstieg in die Verbandsliga. Bis der SV Wacker Bad Salzungen ruft. Andreas Herzberg glückt dort das, was kaum einer für möglich hält: den Klassenerhalt. Und dazu kontaktiert ihn auch Florian Roth. Als würde man eine Schablone auflegen, glückt das auch am Hain in Eiterfeld.
Abschließende Worte gebühren Stephen Petrich, dem 1. Vorsitzenden des VfL Eiterfeld. „Andreas Herzberg ist ein Top-Mann. Wie ein Sechser im Lotto für uns. Fachlich und menschlich ist er Erste Klasse. Ein Experte seines Fachs. Ganz ruhig und besonnen. Ganz klar ist er in seiner Ansprache. Er war genau der Richtige, als wir im Winter in Turbulenzen steckten. Einige Spieler haben ihre Verträge nur unter der Prämisse verlängert, dass er unser Trainer bleibt. Mit einem anderen Coach hätten wir den Klassenerhalt nicht geschafft.“ Und aus Petrichs allerletzter Bemerkung hört man ein Stückchen Erleichterung und Stolz: „Im Winter gab es keine Entscheidung, die ich im Nachhinein bereue. Es war eine harte Zeit. Aber wir haben alles richtig gemacht. Wir haben an Zusammenhalt gewonnen.“ +++ rl - Lesen Sie auch: Andreas Herzberg: Wie aus einem Freundschaftsdienst der Anfang einer Erfolgsgeschichte wurde
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