Ärztepräsident warnt vor übereilten neuen Lockdown-Beschlüssen

Lauterbach will Moratorium aller Öffnungsschritte

Ärztepräsident Klaus Reinhardt hat Bund und Länder vor übereilten und schlecht vorbereiteten neuen Lockdown-Beschlüssen gewarnt. „Weitreichende Lockdown-Maßnahmen wie Ausgangssperren oder erneute Schulschließungen sollten nicht im statistischen Blindflug veranlasst werden, sondern auf Grundlage sauberer und verlässlicher Daten“, sagte er der „Rheinischen Post“. Natürlich sei die zunehmende Belegung der Betten auf den Intensivstationen ein deutlicher Warnhinweis, „verlässliche Erhebungen über Neuinfektionen haben wir im Moment aber nicht, weil über Ostern möglicherweise weniger oder verspätet gemeldet worden ist“, so der Präsident der Bundesärztekammer. „Die letzte Bund-Länder-Runde zur sogenannten Osterruhe hat gezeigt, dass unausgegorene Entscheidungen Vertrauen und Akzeptanz in der Bevölkerung kosten können. Daraus sollten alle Beteiligten lernen“, mahnte Reinhardt. „Die weitere Corona-Politik in Deutschland sollte deshalb unter Einbeziehung breiterer Expertise von zahlreichen Professionen im Bundestag diskutiert und auch vom Parlament legitimiert werden“, forderte er. „Das wären echte vertrauensbildende Maßnahmen, die uns sicher mehr bringen als Schnellschüsse ohne ausreichende wissenschaftliche Grundlage“, sagte Reinhardt. Vor allem aber müsse man die Grundimmunisierung der Bevölkerung beschleunigen, um die dritte Infektionswelle zu brechen und Einschränkungen der persönlichen Freiheitsrechte zurückzufahren. Reinhardt bekräftigte seine Forderung, „die Reservekapazitäten für die Zweitdosen weitgehend aufzulösen und diese sofort zu verimpfen“.

Lauterbach will Moratorium aller Öffnungsschritte

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat in der Debatte um geeignete Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie den Stopp aller Öffnungsschritte gefordert. „Wir brauchen den harten, bundesweiten Lockdown ab jetzt für mindestens zwei Wochen. Damit muss ein Moratorium für jegliche Öffnungsschritte gelten, das beinhaltet ausdrücklich auch die Modellprojekte im Saarland“, sagte er der „Rheinischen Post“. Außerdem brauche es eine bundesweite Ausgangssperre von 20 bis 6 Uhr. „Diese kann den R-Wert laut Studien um die entscheidenden 15 Prozent senken, die wir jetzt zum Brechen der Welle brauchen.“ Zudem forderte Lauterbach mehr Auflagen für die Wirtschaft. „Die Testbereitschaft der Unternehmen ist immer noch viel zu gering, wir brauchen eine Testpflicht in allen Betrieben mit Präsenzarbeit sowie eine Homeoffice-Pflicht“, sagte der SPD-Politiker. „Und für die Schulen muss gelten: zweimal in der Woche Testpflicht für Präsenzunterricht, b ei einem Positivfall muss die gesamte Klasse samt Lehrkraft in Clusterquarantäne.“ Die vermehrten Fälle unter Kindern und Jugendlichen ließen da keinen Verhandlungsspielraum mehr.

Lambrecht: Geimpfte mit negativ getesteten Personen gleichstellen

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) fordert, Corona-Beschränkungen für Geimpfte teilweise zurückzunehmen. „Wenn jetzt wissenschaftlich belegt wird, dass von Geimpften keine höhere Gefahr für andere ausgeht als von negativ getesteten Personen, entfällt eine wichtige Begründung für die Einschränkung ihrer Grundrechte“, sagte sie der „Bild“. Dies müsse dann selbstverständlich berücksichtigt werden. „Es ist ein logischer Schritt, Geimpfte mit negativ getesteten Personen gleichzustellen.“ Grundrechte seien durch das Grundgesetz garantiert. Sie dürften nur in Ausnahmefällen, mit guter Begründung und unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt werden. „Wir leben in keinem Obrigkeitsstaat, der Grundrechte nach Belieben einschränken oder zurückgeben kann.“ Aktuell gehe es darum, die dritte Welle der Pandemie zu brechen. Tests würden bei den kommenden Öffnungsschritten eine wichtige Rolle spielen. „Dann sollte auch die Impfung berücksichtigt werden.“ Zuvor hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sich dafür ausgesprochen, dass Geimpfte ohne Corona-Test einkaufen oder zum Friseur gehen können. Auch Quarantäne-Regeln sollten für Geimpfte entfallen, hatte er der „BamS“ gesagt. +++