Adoptiv- und Pflegekindern bei der Aufarbeitung ihrer Geschichte helfen

Hünfeld. Jeder Mensch hat einen Anspruch auf Wissen über die eigene Vergangenheit. Das war eine zentrale Aussage des letzten Informationsabends der gemeinsamen Adoptionsvermittlungsstelle der Landkreise Fulda und Hersfeld-Rotenburg sowie der Stadt Fulda. Warum es für Adoptiv- und Pflegekinder so wichtig ist, die eigene Vergangenheit zu kennen, und wie die Geschichte des Kindes aufgearbeitet werden kann, erläuterte die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und Diplom-Supervisorin Evelyn Heyer aus Kassel. Die Therapeutin widmet sich schwerpunktmäßig der Begleitung und Supervision von Pflegefamilien.

„Die meisten Kinder wissen nicht viel über ihre Vergangenheit. Oft müssen die verschiedenen Teile mühevoll erforscht und zusammengetragen werden“, so Heyer. „Die Biografiearbeit ist eine Methode, die die Aufarbeitung der Geschichte des Kindes ermöglicht und dabei eine Struktur für Gespräche schafft.“ Ziel der Biografiearbeit sei es, Klarheit zu schaffen, statt der Idealisierung Raum zu geben. Im Kern gehe es bei dieser Arbeit darum, Zeitzeugen zu interviewen, Orte aus der Vergangenheit aufzusuchen und Informationen aus erster Hand zu bekommen. Empfehlenswert sei eine chronologische Aufarbeitung und Dokumentation im Tempo des Kindes.

Festgehalten werden die Ergebnisse der Recherchen in einem Lebensbuch. Inhalte des Buches können beispielsweise die Geburtsurkunde, ein Stammbaum, Fotos, eine Landkarte oder eine Lebensgrafik sein. Im Buch ist dann nachzulesen, woher das Kind kommt, wer zu seiner Familie gehört, wo es wie lange gelebt hat oder welche Bezugspersonen in einem bestimmten Zeitraum wichtig waren. „Biografiearbeit schärft das Bewusstsein des Kindes, sie ermöglicht dem Kind, über sich selbst zu sprechen, dabei Gefühle wahrzunehmen und Erkenntnisse zu gewinnen“, betonte die Therapeutin. Die Arbeit reduziere Schuldgefühle und helfe dem Kind dabei, stolz auf sich selbst zu sein.

Damit schlägt die Biografiearbeit auch Brücken von der Vergangenheit in die Gegenwart und in die Zukunft. Brücken, die nach Aussagen der Therapeutin, das Ankommen in der neuen Familie erleichtern und einen besseren Umgang mit der frühen Trennungserfahrung ermöglichen. Den Pflege- und Adoptiveltern empfiehlt Evelyn Heyer, sich viel Zeit zu nehmen, Geduld zu haben, das Kind immer um Erlaubnis für die Biografiearbeit zu bitten und wichtige Bezugspersonen darüber zu informieren, dass gerade Biografiearbeit stattfindet.

„Die Eltern sollten mit dem Kind wertschätzend über unangenehme Dinge sprechen. Die Informationstiefe ist allerdings abhängig vom Alter des Kindes. Deshalb sollten Eltern die Informationen zunächst filtern und nicht mit dem Holzhammer weitergeben“, so die Empfehlung der Therapeutin, die ihren Vortrag mit zahlreichen Beispielen aus der Praxis bereichert hatte. Im Anschluss nutzten die Teilnehmer die Gelegenheit, Fragen an die Referentin zu stellen und Erfahrungen auszutauschen.

Die Mitarbeiterinnen der Adoptionsvermittlungsstelle, Ines George und Irmgard Plappert, freuten sich über das rege Interesse und die mit über 60 Besuchern große Zahl der Interessierten, die an diesem Abend den Weg in das Bonifatiuskloster nach Hünfeld gefunden hatten. +++ fuldainfo