27. Fuldaer Wirtschaftstag: Wirtschaft, Wandel, Werte: Megatrend Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit und Ökonomie passen zusammen

Dr. Christian Gebhardt, Präsident der Industrie- und Handelskammer Fulda

Im Hotel Maritim am Schlossgarten Fulda hat heute der 27. Fuldaer Wirtschaftstag der Industrie- und Handelskammer (IHK) Fulda stattgefunden. Zur Eindämmung des neuartigen Corona-Virus wurde dieser auch in das Morgensternhaus und in den Azubikampus „pings“ gestreamt, die virtuell mit der Hauptbühne in der Orangerie verbunden waren. Das Motto der alljährlichen Veranstaltung „Wirtschaft – Wandel – Werte: Megatrend Nachhaltigkeit“, konnte in diesem Jahr, dem Corona-Jahr treffender kaum sein – und wie gut Nachhaltigkeit und Ökonomie zusammenpassen, machten die heutigen Referenten – darunter auch erstmals Start-ups – an ihren eigenen Geschäftsmodellen deutlich, denn man hat in den vergangenen Monaten verinnerlicht wie wahrscheinlich sonst eher weniger: „Jede Krise bringt auch etwas heilsames mit sich.“

Dr. Christian Gebhardt, Präsident der Industrie- und Handelskammer Fulda, sagte in seiner Eröffnungs- und Begrüßungsrede, dass Nachhaltigkeit nichts Neues sei, sondern ein urdeutsches Handlungsprinzip. Heute definiere sich der Begriff über verantwortungsvoll handelnde Unternehmerinnen und Unternehmer, Nachhaltigkeit als gleichberechtigten Dreiklang von Ökonomie, Ökologie und Sozialem, womit er auf den Wirtschaftstag einstimmte. In seiner Rede forderte Gebhardt von der Politik angemessene Übergangszeiten, um die soziale Dimension, nämlich Arbeit und Beschäftigung, abfedern zu können. Denn gerade unsere mittelständische Region ist Heimat vieler Automobilzulieferer, die vom Verbrennungsmotor abhängen. Ein Wandel hin zu anderen Antrieben und damit des gesamten Geschäftsmodells sei von heute auf morgen nicht machbar. „Darüber hinaus sollte die Politik technologieoffen sein, denn optimale Lösungen werden durch den Wettbewerb der Ideen gefördert und nicht durch dessen Verbot.“ Auch erwähnte der IHK-Präsident, dass der Öffentliche Personennahverkehr und der Radverkehr in den kommenden Jahren eine immer wichtigere Rolle zukommen werde. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels gehöre der Fachkräftemangel langfristig immer noch zu den größten Herausforderungen für unsere Wirtschaft. Gebhardt weiter: „Unsere Welt steht vor großen Veränderungen. Wie die Zukunft aussehen wird, ist heute offener denn je. Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass wir einmal durch eine Pandemie mit einer Personenhöchstgrenze, Mindestabständen, besonderen Hygienemaßnahmen und an mehreren Veranstaltungsorten gleichzeitig tagen würden?“

Dr. Christian Gebhardt ging auf die Initiatoren des Fuldaer Wirtschaftstages, Helmut Sorg, dem Ehrenpräsidenten, und Wolfgang Wehner, dem Ehrenvorsitzenden der Vollversammlung, ein. „Vielleicht werden sich einige von Ihnen fragen, ob wir in Zeiten der Corona-Pandemie nichts Dringlicheres zu tun haben, als uns mit dem Thema Nachhaltigkeit zu beschäftigen, doch ich bin davon überzeugt: Es gibt keinen besseren Moment, um darüber zu sprechen.“

Die Corona-Pandemie habe uns nach Gebhardt gezeigt, wie vernetzt und verwundbar unser Wirtschaftssystem ist. „In kürzester Zeit brach das Bruttoinlandsprodukt zweistellig ein und die Arbeitslosigkeit schnellte nach oben. Viele Unternehmen kämpfen um ihre Existenz. Nur die großzügigen staatlichen Unterstützungsprogramme haben uns vor einem noch drastischeren Niedergang unserer Wirtschaft bewahrt. Und jetzt soll der Staat noch die Umwelt retten? Unterstützungsprogramme alleine werden den Klimawandel nicht verhindern“, so Gebhardt, der ergänzte: „Wissenschaftlichen Studien zufolge liegen bei einem moderaten Temperaturanstieg die jährlichen Kosten in diesem Bereich in Deutschland bei bis zu 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Andere namhafte Experten rechnen mit einem Verlust der globalen Wirtschaftskraft von zehn Prozent bereits bis 2030. Allerdings unterschätzen alle Untersuchungen die zusätzlichen negativen Auswirkungen aufgrund der globalen Vernetztheit und der Nichtlinearität der Effekte. Es dürfte also deutlich teurer werden. Das alleine sollte Grund genug für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft sein, sich gerade jetzt mit dem Thema Nachhaltigkeit zu beschäftigen.“ Dr. Christian Gebhardt schloss mit einem Zitat von John F. Kennedy: „Veränderung ist das Gesetz des Lebens. Diejenigen, die nur auf die Vergangenheit oder die Gegenwart blicken, werden die Zukunft verpassen.“

Als prominenter Gast konnte heute mit Nina Ruge eine der bekanntesten Moderatorinnen des Deutschen Fernsehens begrüßt werden. Vor Jahren stand die Moderatorin und UN- Umweltbotschafterin schon einmal bei einem Wirtschaftstag der IHK Fulda auf der Bühne. Neben einem eigenen themenbezogenen Vortrag unter der Überschrift „Nachhaltigkeit im Unternehmen in Zeiten der Corona-Krise: Was ist machbar?“, moderierte sie die Podiumsdiskussion „Best practice“. Teilnehmende waren neben der wissenschaftlichen Leiterin des KompetenzCentrums für nachhaltige Entwicklung an der FOM Hochschule am Hochschulzentrum Düsseldorf, Prof. Dr. Estelle Herlyn, und dem Leiter des Zentralbereichs Unternehmenskommunikation und Politik von Trumpf, Dr. Andreas Möller, die Start-up-Unternehmer Franziska Hannig und Daniel Anthes.

Franziska Hannig (Jahrgang 1984) ist die Gründerin und geschäftsführende Gesellschafterin der Inaska GmbH. Die Beachvolleyballerin und zweifache Mutter produziert Bade- und Sportmode aus recyceltem Nylon wie beispielsweise Fischernetzen und anderem Plastikmüll aus dem Meer. Für diese innovative Idee wurde ihr Unternehmen 2019 mit dem Hessischen Gründerpreis ausgezeichnet.

Die Inaska GmbH setzt dem Klima zuliebe auf möglichst kurze Wege: Von der Produktion über Lieferung und Verpackung wird sorgfältig darauf geachtet, dass die Bikinis und Leggins umweltschonend produziert werden. „Uns ist es wichtig, dass wir keine unnötigen Transportwege haben, deshalb werden unsere Bikinis und Leggins von der Herstellung des Garns bis zum finalen Produkt in Europa produziert, verpackt und versendet. Nachhaltigkeit ist für uns kein Trend, sondern eine Lebenseinstellung“, so die 36-Jährige. Der Name ihres jungen Unternehmens, der für viele nordisch klingen mag, setzt sich aus den drei End-Buchstaben ihres Vornamens sowie denen ihrer damaligen Mitbewohnerin zusammen. Für den Firmennahmen mussten einige Vorschläge herhalten, bis ein passender gefunden war, der gut klingt und letztlich auch genehmigt werden musste, mussten einige herhalten“, sagt die Gründerin. Ihr Geschäftsmodell verbindet Funktionalität, Nachhaltigkeit und Ästhetik. Der Hauptfokus liegt auf der Nachhaltigkeit. Die Corona-Krise traf auch ihr Unternehmen. „Normalerweise geht die Bademodesaison von April bis August. Der Lockdown brachte die Textilindustrie zum Erliegen. Schwimmbäder waren geschlossen und auch Reisen waren tabu. Das spürten wir natürlich“, erzählt sie, weshalb man in ihrem Online-Shop neben Bademode auch Sportmode erwerben kann. Ihre Prognose: „Keine großen Sprünge machen, gesund wachsen und ein gesundes Unternehmen aufbauen.“

Durch Corona wird vieles sichtbar, was wir vorher nicht gesehen haben

Eine ganz ähnliche, nachhaltige Geschäftsidee, die nicht der Meeresverschmutzung durch Plastikmüll, sondern der Lebensmittelverschwendung die Stirn bietet, hatte auch Daniel Anthes. Anthes, Jahrgang 1986, ist Inhaber der Knärzje GmbH. Das Start-up-Unternehmen braut Bier aus altem Brot. „Knärzje ist die hessische und pfälzische Mundart für das Brotendstück, was leider viel zu oft weggeworfen wird. 1,7 Millionen Tonnen landen jährlich in der Tonne – und das, obwohl es noch genießbar ist“, so der Jungunternehmer. „Das hat mich dann irgendwann dazu bewogen, mich mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, was man mit diesen Brotendstücken machen kann. Auf Deutschland sind ganz, ganz viele neidisch, was das Brauen oder das Brotbacken angeht.“

Von der Firmengründung bis heute wurden 10.000 Flaschen Bier gebraut, womit 300 Kilogramm Brot verwertet werden konnte. Geschmacklich schmecke das Bier wie jedes andere. Ziel ist es, das Bier irgendwann auch überregional zu vermarkten. Der Preis pro Flasche von 2, 60 Euro bis 4,10 Euro ist von Handel zu Handel verschieden. „Durch Corona wird vieles sichtbar, was wir vorher nicht gesehen haben“, stellten Hannig und Anthes auf dem Podium heraus, womit neues Verständnis dafür wächst, in der Krise Chancen zu erkennen, um neue, zielführende Wege zu gehen. Die Politik ist vor dem Hintergrund der noch andauernden Corona-Pandemie nicht nur in der Verantwortung, Rahmen und Paradigmen für das Machbare aufzuzeigen, sondern sie ist auch gefragt, den Rahmen für nachhaltige Lebensstile zu setzen, ob und inwiefern wir ihren Beispielen folgen, sie annehmen liegt an jedem Einzelnen. +++ ja