Überaus herzliche Begegnungen in Oberschlesien

Wiesbaden: Das deutsch-polnische Miteinander als Fundament eines harmonischen Zusammenlebens im gemeinsamen Europa war der Leitfaden für ein Verständigungsseminar, das kürzlich unter Leitung seines Vorsitzenden Georg Stolle (Bensheim) vom Deutsch-Europäischen Bildungswerk e.V. und den Organisationsreferenden Hubert Leja und Anna Kocos (beide Wiesbaden) in Oberschlesien/Polen durchgeführt wurde.

Für 33 Teilnehmer aus ganz Hessen wurde in Zusammenarbeit mit dem „Haus Deutsch-Polnischer Zusammenarbeit“ in Gleiwitz/Gliwice ein 3-tägiges Vollprogramm zuzüglich An- und Abreisetag mit dem Bus geboten, das sowohl die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Oberschlesiens, als auch die Anliegen der deutschen Minderheit in die Region Polens eindrucksvoll beleuchtete. Zu Beginn wurden die Gäste aus Deutschland, darunter ein Großteil aus von Oberschlesien stammenden deutschen Heimatvertriebenen, von dem stellv. Vizepräsidenten der Stadt, Krystian Tomala, im repräsentativen alten Rathaus sehr herzlich empfangen und über die erfolgreiche Modernisierung dieses dynamischen Wirtschafts-, Hochschul- und Forschungszentrums im Herzen Oberschlesiens anschaulich informiert. Während einer anschließenden Stadterkundung wurden u.a. die Kriegs-Ruine des Theaters „Victoria“, in der seit 2004 das Internationale Festival „Jazz in Ruinen“ stattfindet und der imposante Holzmast des aus dem Jahre 1935 stammenden Rundfunksenders, der bekanntlich im Zusammenhang mit dem Beginn des 2. Weltkriegs und dem ersten polnischen Todesopfers steht, besichtigt. Im Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit wurden die Seminarteilnehmer über diese einzigartige, parteiübergreifende Initiative polnischer und deutscher Stiftungen, Institutionen und Organisationen und deren besonderen Möglichkeiten zur Erschließung der kulturellen Vielfalt Oberschlesiens durch dessen Geschäftsführer Rafat Bartek ausführlich unterrichtet.

Der zweite Seminartag begann mit einem für alle überaus beklemmenden Besuch des ehemaligen nationalsozialistischen Vernichtungslagers in Auschwitz/Birkenau. An der sogenannten „Schwarzen Wand“ im Hof zwischen Block 10 und Block 11 des Stammlagers in Auschwitz legte der mitreisende Landesvorsitzende des Bundes der Vertriebenen in Hessen, Siegbert Ortmann, ein Blumengebinde mit BdV-Schleife nieder und merkte in einer kurzen Gedenkrede unmissverständlich an, dass der an diesem Ort unter dem unmenschlichen Naziterror begangene Völkermord ohne Beispiel in der Menschheitsgeschichte sei und uns Deutschen, auch nach über 70 Jahren seines grausamen Begehens nicht unberührt lassen könne. Nach einem an dieser berüchtigten Todeswand gemeinsam gebeteten „Vater unser“ war nicht nur für den BdV-Landesvorsitzenden dieser Gedenkstättenaufenthalt im ehemaligen KZ-Stammlagern Auschwitz I und II (Birkenau) die intensivste Erfahrung der gesamten Seminarreise.

An denselben Abend stand weiter eine Begegnung mit Vertretern der deutschen Minderheit unter dem Vorsitzenden des deutschen Freundschaftskreises im Bezirk Schlesien, Marcin Lippa, statt. Im Kulturzentrum in Plawniowitz/Plawniowice bereiteten hierbei „Jung und Alt“ der deutschstämmigen Bewohnern dieses Ortes und Umgebung den angereisten Gästen eine unvergessliche, informative Folklore-Schau unter Mitwirkung von verschiedenen Kinderchören und Wortbeiträgen in ihrer „Sprache des Herzens“ ( so die deutsche Muttersprache!). Dabei wurde besonders deutlich, dass es diesen Mitmenschen bei ihren kulturellen Tätigkeiten und dem ehrenamtlichen Engagements wirklich um die Erhaltung und Verbreitung der deutschen Kultur, Sprache und Identität geht. Die erste Hälfte des letzten Seminartages war ganz dem Gymnasium mit Grundschule in Brzezinka gewidmet. Schulleiterin Krystyna Blacha stellte diese moderne und zeitgemäße Einrichtung der Klassen 1 bis 9 mit erfreulich vielen deutschsprachigen Unterrichtsstunden überzeugend vor und ihre Kolleginnen führten schließlich die Gäste durch die gesamte Bildungsstätte, sogar mit unmittelbarer Teilnahme an laufenden Unterrichtsstunden in den Fächern „Mathematik“ und „Erdkunde“. Die stellv. Schulleiterin Anna Jaksik präsentierte am Ende in einem Kurzreferat mit bildlicher Darstellung das erarbeitete Schulprojekt „Schlesien – meine kleine Heimat“ den aufmerksamen Zuhörern.

Am Nachmittag ging es in das Kohlebergbaumuseum in Hindenburg/Zabrze. Dabei wurden die Teilnehmer 320 Metr „unter Tage“ durch still gelegte, weit verzweigte Steinkohlenstollen geführt und es wurden ihnen dort immer wieder große, sehr lärmende, aber heute noch funktionierende Kohleabbau- und Beförderungsmaschinen vorgeführt. Ein sehr schmaler elektrischer Transportzug brachte die Besucher schließlich zum Aufzug zurück, mit dem es zur Erleichterung vieler endlich wieder zurück an die wohlbekannte Erdoberfläche ging.
Am jenem Abend erlebten die Teilnehmer dann noch einen der Höhepunkte der Seminarreise nach Oberschlesien, nämlich den freundschaftlichen Besuch beim Deutschen Freundeskreis in Ostroppa und einem Vortrag zum Thema „Aussiedler, Flüchtlinge, Emigranten“ von Publizisten Krzysztof Karwat aus Beuthen mit sehr lebhafter Diskussion. Zum gemütlichen Abschluss wurde ein landestypisches, gemeinsames Abendessen serviert und mit Vertretern der deutschen Minderheit kam es dabei unter musikalischer Umrahmung mit deutscher Blasmusik und wohlbekannten Melodien zu überaus herzlichen, gegenseitigen Gesprächen und schönen Begegnungen.

Neben den aufgezeigten Programmpunkten gab es noch eine Anzahl weiterer interessanter Referate u.a. von namhaften polnischer Universitätsprofessoren und lebhaften Aussprachen über Themen der Geschichte der Stadt Gleiwitz, die sprachliche Struktur und die nationalen Gegensätze in Oberschlesien (Prof. Dr. Ryszard Kaczmarek, Kattowitz), die Situation Oberschlesiens nach 1945, den kommunistischen Sicherheitsapparat gegenüber der deutschen Bevölkerung 1945-1989 sowie über das ganz aktuelle Thema „Die schrumpfenden Städte in Oberschlesien“ (Dr. Robert Krzysztofik, Sosnowitz). Für Seminarleiter Georg Stolle (Bensheim) und den BdV-Landesvorsitzenden Siegbert Ortmann (Lauterbach) und sicherlich auch alle Reiseteilnehmer bleiben diese in Oberschlesien/Polen erlebten Begegnungen, Vorträge und Diskussionen unvergesslich und sie waren insgesamt bestens geeignet für eine grenzüberschreitende Aufarbeitung von möglichen, gegenseitig belasteten zeitgeschichtlichen Problemen hin zur Verknüpfung ehrlicher und freundschaftlicher Beziehungen zwischen den deutschen Heimatvertriebenen und den jetzigen Bewohnern dieses ehemaligen Teil Deutschlands. Wiederholungen von Seminaren dieser Art aus der Reihe „Begegnung und Verständigung“ mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums des Inneren in Berlin sind vorgesehen, so Georg Stolle vom Deutsch-Europäischen-Bildungswerk (DEB) e.V. in Wiesbaden. +++ fuldainfo