Plagiat auf Plagiat. Was ist da los? – Dehler im Gespräch

Fulda/Berlin. Seit den bekannt gewordenen Plagiaten in Dissertationen von Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, EU-Politikerin Silvana Koch-Mehrin, Bildungsministerin Annette Schavan und inzwischen von einigen anderen Doktoren, meist Politiker, ist das Thema in aller Munde. Jetzt auch noch Plagiatsvorwürfe gegen den osthessischen CDU-Politiker Dr. Wolfgang Dippel, seit letztem Jahr Staatssekretär im hessischen Ministerium für Soziales und Integration.

fuldainfo hatte bereits im März letzten Jahres berichtet, dass aufgrund eines in der Redaktion eingegangenen anonymen Schreibens, Plagiatsvorwürfe gegen einen osthessischen CDU-Politiker, dessen Doktorarbeit betreffend, eingegangen waren. Obwohl uns der Name bekannt war, hatten wir davon keinen Gebrauch gemacht diesen zu veröffentlichen, um die Nachprüfung der Universität Kassel nicht zu beeinflussen. Erst als vor drei Wochen die FAZ den Namen des Politikers, nämlich von Dr. Wolfgang Dippel, preisgab, hat auch fuldainfo entsprechend nachberichtet. Siehe untenstehenden Link zu diesem Beitrag. Das Echo auf diesen Bericht war außergewöhnlich groß. Viele fuldainfo-Leser waren und sind irritiert. Der vielfache Wunsch auf ausführliche Information im Allgemeinen, wie im Besonderen, wurde und wird bekundet.

Gleichwohl verstehen wir, dass Dr. Wolfgang Dippel im Moment jede öffentliche Stellungnahme ablehnt, um dem Ergebnis der alsbaldigen Beratung mit dem Promotionsausschuss nicht vorwegzugreifen. Bekannt ist bisher nur, dass sich die anonymen Vorwürfe gegen Dippel auf seine 1994 an der Universität Kassel, einhergehend mit seiner hauptberuflichen Tätigkeit, verfasste Dissertation „Kommunalpolitik in einer Gemeinde. Am Beispiel von Breuna“ bezieht.

Zu den allgemeinen, im Raum stehenden Fragen, haben wir nun den Berliner Politikberater Prof. Dr. Joseph Dehler gebeten, uns ein paar Fragen zu beantworten. Dehler war unter anderem viele Jahre Rektor der Hochschule Fulda, Innovationsbeauftrager des Landes Hessen sowie in ähnlichen Funktionen für die Bundesregierung und die Landesregierung Sachsen-Anhalt tätig. Das Gespräch wurde aufgezeichnet und wird nun hier im Wortlaut wiedergegeben. Wir haben uns angesichts des komplizierten und öffentlich breit diskutierten Themas, für ein längeres Interview entschieden.

fuldainfo
Wann sprechen wir eigentlich von einem Plagiat?

Prof. Dehler
Auf den Punkt gebracht, ist ein Plagiat, „Diebstahl geistigen Eigentums.“ Wer plagiiert, maßt sich unrechtmäßig die Urheberschaft eines anderen an; verletzt also das Urheberrecht. Im Bereich von Erfindungen, Patenten, Design und Geschmacksmustern, ist dies meist mit erheblichen, wirtschaftlichen Folgen verbunden. Eine ganze Nachahmindustrie ist hier am Werk. Meist mit weniger materiellen Folgen, dafür aber mit größerer, öffentlicher Aufmerksamkeit, verbunden, ist der „geistige Diebstahl“ im wissenschaftlichen und literarischen Bereich zu nennen. Darüber erregen wir uns seit ein paar Jahren in Deutschland, vor allem, seit der Fälschung von Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg in seiner Dissertation.

fuldainfo
Schränken wir uns ein und sprechen heute von Plagiaten im Wissenschaftsbereich, von denen es nach Guttenberg, auch in jüngster Zeit, noch einige mit einem hohen, öffentlichen Stellenwert gab. Wann plagiiert jemand in wissenschaftlichen Arbeiten?

Prof. Dehler
Im Wesentlichen, wer sich am Werk eines anderen vergreift, und absichtlich, aber auch unabsichtlich, eine fremde Leistung als die eigene darstellt. Vor allem durch die Übernahme von Textpassagen ohne Angabe der Quelle. Von einem Plagiat kann auch gesprochen werden, wenn das Werk eines anderen, durch Umstellung des Satzbaus oder Verwendung von Synonymen, leicht abgeändert und dabei die Quelle nicht genannt wird. Kurioser Weise spricht man auch dann von einem Plagiat bzw. „Textklau“, wenn man von seinen eigenen Texterzeugnissen abschreibt, oder einen eigenen Text in eine Fremdsprache übersetzt, ohne sich selbst zu zitieren bzw. die Quelle anzugeben.

fuldainfo
Woran erkennt man eigentlich, ob sich Plagiate in Texten befinden?

Prof. Dehler
Ganz einfach gesagt: Durch Text- und Quellenvergleiche. Um einmal technisch anzufangen: Es kommt heute vermehrt zum Einsatz von Plagiatserkennungssystemen. Ich kenne diese nicht näher. Jedoch raten viele Experten bzw. erfahrene Gutachter von Dissertationen und Diplomarbeiten von deren Einsatz ab, weil Plagiate nur unzureichend erkannt werden. Zum Beispiel bei Satzdrehern. Im engeren Sinne gehe ich zunächst einmal davon aus, dass Facharbeiten von Fachleuten gelesen und begutachtet werden. Die Gutachterinnen und Gutachter sollten die entsprechende Literatur kennen, und so Plagiate relativ leicht ausfindig machen können. Auch in Internet-Suchmaschinen kann man stichprobenartig heute schon sehr gut Textpassagen vergleichen. So ist das Internet auf der einen Seite die große Versuchung zum Plagiieren, zugleich aber auch der Fluch für die Erwischten, mit dem man ihnen damit leichter auf die Schliche kommen kann. Jedoch ein gewiefter Gutachter erkennt relativ schnell, ob der Stil eines Textes uneinheitlich ist oder auch fremd wirkende Begrifflichkeiten verwendet werden. Von der Versuchung zu plagiieren ist niemand verschont.

fuldainfo
Wie kommt man eigentlich auf die Idee, zu plagiieren?

Prof. Dehler
Das Ganze fängt meist ziemlich banal an. – Irgendwo findet man einen Gedanken, der eigentlich auch der eigene sein könnte. Gar ärgert man sich vielleicht darüber, dass ausgerechnet ein anderer diesen Gedanken hatte. Und schon ist die Versuchung groß, diesen Gedanken zu seinem eigenen zu machen. Wenn man da nicht hart genug gegen sich selbst ist, dann passiert das ganz schnell. Wenn man aber dem anderen seinen Gedanken lässt, sich also mit dem Gefallen am fremden Gedanken zufrieden gibt, dann braucht man eigentlich nur ordentlich dessen Herkunft zu belegen, sprich ordentlich zu zitieren und die Quelle anzugeben.

fuldainfo
Auffällig ist, dass in letzter Zeit diesbezüglich meist Politikerinnen und Politiker in leitenden Positionen vorgeführt wurden. Nahezu alle aufgeklärten Fälle haben einen anonymen Hintergrund. Stehen dahinter parteipolitische Machenschaften?

Prof. Dehler
Man weiß es nicht genau. Ich auch nicht. Wenn nicht aufgeklärt werden kann, wer der Anonyme war oder ist, lassen sich die Hintergründe nur vermuten. Persönlich bin ich überzeugt davon, dass meist Karriereneid mit im Spiel ist. Dieser treibt oft die irrsinnigsten Blüten. Deshalb glaube ich nicht so sehr daran, hier ginge es um ein Mittel im gegenseitigen Kampf der Parteien. Sie glauben ja gar nicht, wieviel Karriere-Neid es innerhalb der je eigenen Partei gibt. Auch in Dippels Fall ist auffällig, dass die Anschuldigung direkt nach seiner Berufung zum Staatssekretär einging.

fuldainfo
Waren es bisher nicht vermehrt CDU/CSU-Leute, die an den Pranger gestellt wurden?

Prof. Dehler
Es könnte ja auch sein, dass der Karriereneid in der CDU/CSU besonders bizarre Blüten treibt. Aber, wie gesagt, man weiß es nicht genau!

fuldainfo
Weshalb läuft das eigentlich meist auf anonymem Wege?

Prof. Dehler
Ja wohl, weil die Initiatoren unbehelligt bleiben wollen. Vielleicht, weil sie selbst nicht möchten, dass jemand auf die Idee kommen könnte, ihre eigenen Diplom- und Doktorarbeiten auf Plagiate zu prüfen. Denn Fehler sind auch bei denjenigen nicht auszuschließen, die sicher sind, niemals welche gemacht zu haben. Aber natürlich keine Frage: Jeder ist verpflichtet, das geistige Eigentum des anderen, als das höchste Gut des wissenschaftlichen Fortschritts und Umgangs miteinander, zu achten. An dieser Stelle darf es keine Vergebung geben. Niemand aber kann wollen, dass die wissenschaftliche Atmosphäre durch Anonymität in einer so wichtigen Frage vergiftet wird. Denn es werden ja damit nicht nur die Betroffenen angeprangert, sondern auch die Doktorväter und der gesamte Wissenschaftsbetrieb. Ich denke schon, dass wir Besseres zu tun haben, als zwanzig, dreißig, vierzig und fünfzig Jahre alte Doktorarbeiten noch einmal zu überprüfen und neu zu bewerten. Wenn man das aber will, muss man eine Behörde mit hunderten von Bediensteten schaffen und tun, was derzeit nur einigen blüht. Denn stellen Sie sich vor, wieviel Doktoren es in Deutschland zurzeit gibt, wenn alleine im Jahre 2010 25.500 Doktor-Titel vergeben wurden. Vielleicht will man ja sogar noch die toten Doktoren verfolgen und gegebenenfalls gefälschte Grabinschriften beseitigen. Um dieses Thema zu versachlichen, brauchen wir, wie in anderen Lebensbereichen, alsbald eine Verjährungsfrist. …

fuldainfo
… dürfen wir dazwischen fragen, welche Schlussfolgerungen Sie daraus für unser heutiges Thema ziehen?

Prof. Dehler
In der Sache zumindest rate ich den über Plagiaten urteilenden Kommissionen, sich in keiner Weise vom öffentlichen Druck beeinflussen zu lassen, sondern sich ausschließlich sachlich mit den Vorgängen zu beschäftigen. Zum Problem gehört ganz sicherlich auch die im System der wissenschaftlichen Qualifikation liegenden Defizite und deren Auswirkungen auf ein Promotionsverfahren. Denn Fehler entstehen meist durch Überlastung von Schreibenden und Begutachtenden, durch ungenügende Kommunikation, schlechte Information, fehlendes Wissen und mangelhafte Beratung, aber vor allem durch Unklarheiten zwischen Kandidaten und Betreuenden; Ohne dies auf die Ebene „böser Absichten“ schieben zu wollen.

fuldainfo
Sondern?

Prof. Dehler
Auf den Hochschulen und Professoren lastet seit vielen Jahren, ja seit Jahrzehnten, ein erheblicher und ständig steigender Druck durch permanent wachsende Studentenzahlen, vermehrte Ansprüche an die Qualifikation der Studenten seitens der Gesellschaft und der Wirtschaft, bei immer schnellerem Umsatz von Wissen und Information. Die Professoren sollen lehren, forschen, Doktor- und Diplomarbeiten betreuen, in steigendem Maße ihr Wissen Gesellschaft und Wirtschaft zur Verfügung stellen sowie immer mehr Drittmittel, verbunden mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand, einwerben. Damit diese Ansprüche alle erfüllt werden können, auch noch die eigene Reputation vorankommen kann, durch die sich die Hochschulen wiederum als voneinander unterscheidbare „Marken“ profilieren wollen, bleibt am Ende immer weniger Zeit für die Betreuung von Studenten und Doktoranten.

fuldainfo
Das heißt?

Prof. Dehler
Dass wir das eine oder andere so bezeichnete Plagiat weniger hätten, wenn mehr Zeit und Ruhe für die Betreuung und Beratung vorhanden wäre, und auch der Entstehungsprozess einer Arbeit, bis hin zum gedruckten Exemplar, in gegenseitiger Verantwortung kontrolliert und kommunikativ ablaufen würde. Dabei müssen die Betreuer und Gutachter gegenüber dem Kandidaten ein besonderes Maß an Verantwortung, ja eine gewisse Fürsorgepflicht, haben.

fuldainfo
Eine persönliche Frage: Was wäre eigentlich, wenn jemand einmal Ihre Dissertation auf Plagiate untersuchen würde? Beziehungsweise, was macht Sie so sicher, dass Sie nicht plagiiert haben?

Prof. Dehler
Da kann ich nur sagen „Immer ran“! Wenn jemand Zeit hat, gerne. Ich habe noch ein Exemplar, das stelle ich gerne zur Verfügung. Gibt’s ja auch in Buchform. Jedenfalls wäre ich da doch sehr gespannt. Würde sogar eine gewisse Erschwerniszulage zahlen, weil es eine Strafarbeit wäre. Denn abgesehen von den bestimmt 500 Seiten, kann ich meist schon nach spätestens fünf Jahren meine eigene Schreibe nicht mehr lesen. Und seitdem sind fast acht Mal so viele Jahre ins Land gezogen. Außerdem, was habe ich für so viel Mühe, die jemand aufwenden müsste, schon zu bieten? Ich will erstens, keine Karriere mehr machen und zweitens, habe ich in meinem Testament ohnehin schon festgelegt, dass an meinem Grabstein kein Titel angebracht werden darf. Mein Vater sagte des Öfteren: „Du gehst, wie du gekommen bist!“ Also ohne Titel! Wenn ich ein anonymer Überprüfungskandidat wäre, dann höchstens, weil ich für einige Mitmenschen vielleicht etwas zu unbequem bin. Spaß beiseite. Ich hatte das Glück, gründlich beraten zu werden. Ich denke auch, dass die Betreuer seinerzeit noch mehr Zeit hatten, sich um die Doktoranten zu kümmern. Eher hatte ich weniger Zeit als sie, weil ich, wie Wolfgang Dippel, neben einer hauptberuflichen Arbeit promoviert habe. Aber man weiß ja nie!

fuldainfo
Abschließende Frage. Glauben Sie, dass Dr. Dippel in seiner Dissertation plagiiert hat?

Prof. Dehler
„Glauben“ ist hier wohl das falsche Wort, auch wenn ich es nicht glaube. Ohnehin gilt immer erst einmal die Unschuldsvermutung. Aber die Frage verführt mich, noch etwas im vorgenannten Zusammenhang zu sagen. Was mir in der gesamten Diskussion um Plagiate eigentlich immer zu kurz kommt, ist die Frage nach der Verantwortung der Gutachter und der Promotionsverwaltung, wenn wirklich Unregelmäßigkeiten aufgetaucht sein sollten. Eigentlich könnte das gar nicht passieren, wenn 1. Herr. Dr. Dippel gut betreut worden wäre, wenn er 2., falls Fehler begangen worden sein sollten, auf diese hingewiesen und mit ihm besprochen worden wären. Denn Sie müssen immerhin bedenken: Es gibt in der Regel einen Betreuer, der zugleich Erstgutachter ist. Es gibt einen vom Fachbereich benannten Zweitgutachter. Beide erstellen Gutachten, die dem Kandidaten zur Verfügung gestellt werden sollten. Aus diesen Gutachten müssten die festgestellten Mängel deutlich werden. Wenn beide Gutachter die Arbeit, egal mit welcher Note, positiv bewertet haben, findet eine Disputation mit mehreren Prüfern, auch den Erst- und Zweitgutachtern, statt. Darüber gibt es ein Protokoll, das dem Kandidaten ebenfalls zur Verfügung gestellt werden sollte. In beiden Fällen müssten diesbezüglich Quellenverstöße bekanntgemacht, beziehungsweise als Auflage zur Änderung der Dissertation formuliert werden. Darüber hinaus wird die Dissertation im Fachbereich und den verwandten Fachbereichen öffentlich ausgelegt werden. Und, bevor die Dissertation in den Druck geht, muss der Dekan bestätigen, dass alle gemachten Auflagen zur Änderung des Werkes eingearbeitet worden sind. Wenn das alles erfolgt ist, hätte auch bei Dr. Dippel nichts schief gehen können. Wenn doch, muss vor allem geklärt werden, um was es geht und wem die Fehler anzulasten sind. Wir werden sehen. +++ fuldainfo