Merkel/Böhmermann: Schwach wie nie zuvor

Sie wollte der Türkei entgegenkommen

Angela Merkel (CDU)
Angela Merkel (CDU)

Berlin. Es sind Bilder, wie es sie seit Merkels Amtsantritt 2005 noch nicht gegeben hat. Zwei SPD-Minister teilen selbstbewusst in aller Öffentlichkeit mit, dass sie die Entscheidung ihrer Regierungschefin, die Strafverfolgung gegen Jan Böhmermann zuzulassen, für falsch halten. Eine Aufmüpfigkeit erster Güte. Noch vor einem Jahr wäre so ein Verhalten Merkel gegenüber undenkbar gewesen. Doch seit der Flüchtlingskrise ist vieles anders. Merkel ist als Kanzlerin so schwach wie nie zuvor – und daran vor allem selbst schuld.

Sie wollte der Türkei entgegenkommen, indem sie Böhmermanns Gedicht öffentlich „bewusst verletzend“ nannte – eine Geschmacksbekundung, die einer Regierung in einem freiheitlichen Rechtsstaat im Übrigen nicht zusteht. Das autokratische Ankara interpretierte die Äußerung aber als Schwäche, nicht als Kompromissangebot – und legte mit der Forderung nach Strafverfolgung nach. Merkel blieb nur die Entscheidung zwischen falsch und verkehrt. Sie entschied sich dafür, Erdogan nicht weiter zu reizen, um den Flüchtlingsdeal nicht zu gefährden. Realpolitisch mag das logisch klingen, doch nach innen kann es so verstanden werden: Erdogan hat Merkel in der Hand, unsere Freiheitsrechte gelten nur solange, wie sie nicht der Realpolitik geopfert werden. Ein Kotau sondergleichen.

Doch weder Gewaltenteilung noch Meinungsfreiheit sind in Deutschland in Gefahr. Jetzt entscheidet eben die Justiz im Fall Böhmermann – und zwar unabhängig. Sie ist dazu im Gegensatz zur Regierung auch befugt und in der Lage. Die Chance ist groß, dass am Ende einmal mehr Meinungs- und Kunstfreiheit gestärkt werden. Der unsägliche Paragraf 103 soll zudem aus dem Strafgesetzbuch verschwinden, die Majestätsbeleidigung der Vergangenheit angehören. Auch das ist ein begrüßenswerter Nebeneffekt, der dem öffentlichen Druck durch die breite Debatte im Land zu verdanken ist.

Merkel selbst hat indes mehr als nur Kratzer abbekommen. Wenn sich schon die 20-Prozent-SPD auf ihre Kosten profiliert, sagt das viel über die Autorität der Kanzlerin aus, schreibt die Schwäbische Zeitung. +++ fuldainfo