Hennig zur Dippel-Dissertation: Nicht nur Dippel hat Fehler gemacht – Gemeinsam heilen!

Dr. Wolfgang Dippel (CDU)

Fulda/Kassel/Frankfurt. fuldainfo hat bereits mehrfach zum Plagiatsvorwurf gegen Staatssekretär Dippel berichtet. Von Anfang waren wir an einer ausschließlich sachlichen Darstellung des Vorgangs – vom Eingang des diesbezüglich anonymen Vorwurfs in der Redaktion bis hin zum „Entzug“ des Doktorgrades durch die Uni Kassel – interessiert. In der Zwischenzeit wurde bekannt, dass es nicht nur Quellendefizite in der Dissertation von Wolfgang Dippel gab, sondern auch Verfahrens- bzw. Informationsdefizite, die letztlich dazu geführt haben, dass Dippels Dissertation über den Dekan des damaligen Fachbereichs unkorrigiert in den Druck gehen konnte, obwohl die Gutachter und Prüfer eine Überarbeitung gefordert hatten.

Prof. Dr. Eike Hennig, der damalige Betreuer und einer der gleichberechtigt beurteilenden wie benotenden Gutachter, hat hierzu dankenswerter Weise einige Fragen von fuldainfo beantwortet. Damit wir mehr Licht ins Dunkle dieses Vorgangs bringen. Und all denjenigen, die jetzt vorschnell den Rücktritt beziehungsweise die Entlassung Dippels als Staatssekretär fordern, indirekt angeraten, sich unbedingt zurückzuhalten. Als ausgesprochen wohltuend empfindet es fuldainfo überdies, dass Professor Hennig auch Fehler bei sich, nicht nur bei Wolfgang Dippel und dem damaligen Promotionsausschuss sieht. Auffällig ist überdies, dass Prof. Hennig nicht von „Plagiat“ spricht und meint, dass es dem zuständigen Fachbereich besser angestanden hätte, „eine ´Heilung` all der im Verfahren entstandenen Fehler zu suchen“, als Dippel den Doktorgrad zu entziehen.

Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang noch, dass am mündlichen Verfahren, der Disputation, neben den Gutachtern zwei weitere Prüfer (Professoren) beteiligt waren. Alle waren sie miteinander zu einer einvernehmlichen Benotung des Promotionsverfahrens mit „rite/ausreichend“ (eine Leistung, die trotz Mängel den Anforderungen an eine Promotion genügt), gelangt. Alleine dies deutet darauf hin, dass die Defizite der Dissertation von Dippel in die verhältnismäßig schlechte Benotung eingegangen sein müssen. – Ein Ergebnis im Übrigen, das in Deutschland 2009 nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes von 24.015 bestandenen Prüfungen, bei denen die Noten bekannt sind, lediglich 0,2 % erhalten haben, während 15,4% „mit Auszeichnung“, 53,6 % mit „sehr gut“, 27,0 % mit gut und 3,8 % mit „befriedigend“ ausfielen. Übrigens hatten 2009 nur 17 Kandidaten nicht bestanden.

Zu Prof. Dr. Eike Hennig; Er war von 1975-1981 Professor für Soziologie und Massenkommunikationsforschung an der Universität Frankfurt am Main und von 1981-2008 Professor für Theorie und Methoden der Politikwissenschaft am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel tätig. Seit dem Sommer-Semester 2009 lehrt er an der „Universität des 3. Lebensalters“ an der Frankfurter Johann-Wolfgang-Goethe-Universität. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Politische Philosophie und Theorien, Methoden der Sozialwissenschaften, politische Unzufriedenheit und rechter Extremismus sowie Stadtforschung. Außerdem ist er Vorstandsmitglied im Förderverein des Fritz Bauer Instituts e.V., ein An-Institut der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

fuldainfo

Herr Prof. Dr. Eike Hennig, Sie waren seinerzeit, im Jahre 1995, Erstgutachter der 236 Seiten starken Dissertation von Wolfgang Dippel „Kommunalpolitik in einer Gemeinde. Am Beispiel von Breuna“. Haben Sie, der Sie ja als Gutachter und Berater zwangsläufig mit dem Thema befasst sein mussten, etwas von Plagiaten bzw. Quellendefiziten in der Arbeit von Herrn Dippel bemerkt und diese in Ihrem Gutachten festgehalten?

Prof. Hennig

Das zweite Gutachten redet klar von Auflagen und vom Ausweisen der Zitate. Bei mir findet sich diese Kritik indirekt. Mein Gutachten moniert stärker den ausgebliebenen Vergleich, der die Qualität der Arbeit mindert. Ich war damals enttäuscht über die methodisch und theoretisch ihre Möglichkeiten nicht ausschöpfende Dissertation. Mein Hauptinteresse war es, nach der langen, inhaltlich schwierigen Textproduktion das Verfahren schnellstmöglich und einvernehmlich zum Ende zu bringen. Dies wurde zum Konsens aller beiden Gutachter und der weiteren beiden Prüfer. Herr Dippel hat dem nicht widersprochen.

fuldainfo

Herr Prof. Dr. Eike Hennig, Sie waren seinerzeit, im Jahre 1995, Erstgutachter der 236 Seiten starken Dissertation von Wolfgang Dippel „Kommunalpolitik in einer Gemeinde. Am Beispiel von Breuna“. Haben Sie, der Sie ja als Gutachter und Berater zwangsläufig mit dem Thema befasst sein mussten, etwas von Plagiaten bzw. Quellendefiziten in der Arbeit von Herrn Dippel bemerkt und diese in Ihrem Gutachten festgehalten?

Prof. Hennig

Das zweite Gutachten redet klar von Auflagen und vom Ausweisen der Zitate. Bei mir findet sich diese Kritik indirekt. Mein Gutachten moniert stärker den ausgebliebenen Vergleich, der die Qualität der Arbeit mindert. Ich war damals enttäuscht über die methodisch und theoretisch ihre Möglichkeiten nicht ausschöpfende Dissertation. Mein Hauptinteresse war es, nach der langen, inhaltlich schwierigen Textproduktion das Verfahren schnellstmöglich und einvernehmlich zum Ende zu bringen. Dies wurde zum Konsens aller beiden Gutachter und der weiteren beiden Prüfer. Herr Dippel hat dem nicht widersprochen.

fuldainfo

Wenn ja, halten Sie es für möglich, dass Herr Dippel hiervon, wie auch nicht von ggf. vergleichbaren Anmerkungen des Zweitgutachters nicht in Kenntnis gesetzt wurde, bevor die Genehmigung des Druckes der Arbeit seitens des Dekans veranlasst wurde, – und er somit überhaupt keine Gelegenheit hatte, die Dissertation entsprechend zu überarbeiten? Konkret: Haben die Gutachten wie auch das Protokoll der Disputation jemals Herrn Dippel erreicht?

Prof. Hennig

Ich habe „eigentlich“ all meine Gutachten an die Prüflinge verteilt. Lt. Ordnung sind die Gutachten einsehbar nach Ende der Auslagefrist. Ob Herr Dippel davon Gebrauch gemacht hat, ob ihm eine Kopie seitens des Dekans oder des Promotionsausschusses zugestellt worden ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Ob Dippel von den Auflagen im zweiten Gutachten gewusst hat, ob ihm das Protokoll der mündlichen Prüfung zugestellt worden ist (auch dort findet sich nochmals der Begriff Auflage), das entzieht sich ebenfalls meiner Kenntnis.

fuldainfo

Wie uns bekannt wurde, lautete der Auftrag an Wolfgang Dippel, seine Untersuchung eng an zwei bereits vorhandenen, ähnlich gelagerten Studien zu orientieren, seine Arbeit entsprechend zu strukturieren und darzustellen. Könnte es sein, dass sich aus der Nähe mit den anderen Arbeiten die Notwendigkeit ergab, sich auch an den dortigen Quellen zu orientieren, und hierbei vielleicht einige Unkorrektheiten entstanden sind? Oder anders gefragt, was war Ihnen diesbezüglich damals aufgefallen und wie haben Sie dies bewertet? Sind also die von Ihnen und Ihrem Kollegen Zweitgutachter ggf. erkannten Quellendefizite in die Bewertung der Dissertation eingeflossen?

Prof. Hennig

Dem zweiten Gutachten sind ungenaue Nachweise aufgefallen (per Auflage sollten sie vor der Drucklegung beseitigt werden, es fehlt aber eine korrekte, von der Promotionsordnung geforderte klare Auflistung der Fehler im Dissertationstext). Es stimmt, in dem seinerzeit vergleichsweise „dünn“ bestellten Feld der Politikanalyse kleiner Gemeinden sind zwei Arbeiten als „Richtschnur“ (Ellwein/Zoll und Schirra) genannt worden. Für die konkrete Arbeit reduziert sich dies auf die weniger anspruchsvolle, deskriptiv gehaltene Arbeit (Schirra). Als Vergleich sollte sie die Darstellung der am Beispiel von Breuna neu erhobenen Daten ermöglichen. Dies geschah auch, um den schwierigen, dornigen, lange Zeit schwer strukturieren Arbeitsprozess, also um den doch zäh verlaufenden Prozess der Textabfassung entlang eines einfachen Beispiels zu gliedern, um ihm eine Form zu geben. In meinem Gutachten bedaure ich vor allem die theoretisch und methodologisch verschenkten Möglichkeiten zur kritischen Darstellung von Politik, von Einstellungen, Verhaltensweisen und Institutionen in kleinen Gemeinden. Nach der Disputatio, der mündlichen Prüfung, findet all diese kritische Bewertung ihren Ausdruck in der Benotung.

fuldainfo

Wurden Sie jetzt, wo die Plagiatsvorwürfe gegen Herrn Dippel bekannt wurden, seitens der Universität Kassel noch einmal aufgefordert, Stellung zu beziehen? Wenn ja, wurde Ihnen hierzu das seitens der Universität in Auftrag gegebene „neutrale“ Gutachten bekanntgegeben? Wenn ja, wie lautete tendenziell Ihre Stellungnahme?

Prof. Hennig

Ich wurde aufgefordert und habe eine schriftliche Stellungnahme u.a. zu dem „neutralen“ Gutachten abgegeben. Ich kenne die Kasseler Entscheidung bis heute (19.2.) nicht, kann somit nichts dazu sagen, wie meine Darstellung in die Abwägungsprozesse oder die im Ergebnis einseitige Entscheidung gegen Herrn Dippel eingeflossen ist. Das „neutrale“ Gutachten habe ich nicht kommentiert. Formal, mechanisch betrachtet ist dieses Gutachten richtig, es berücksichtigt aber nicht die seinerzeit „nahe Null“ zu betreibende Forschung, es berücksichtigt auch keine Abwägung zwischen verschiedenen Fehlern, die sich im Verfahren Dippel finden lassen. Das neue Gutachten konzentriert sich auf den Text, geht auf alle Probleme der Interaktion, des langen, zähen Arbeits- und Betreuungsprozesses gar nicht ein.

fuldainfo

Gab es nach Ihrer Sicht Verfahrensfehler im Promotionsverfahren Dippel, die der Betroffene nicht zu verantworten hat, und die ursächlich zu den derzeitigen Vorwürfen und letztlich zu Aberkennung des Doktor-Titels durch die Uni Kassel beigetragen haben?

Prof. Hennig

Die Entscheidung der Gutachten, die Abwägung also zwischen Verfahren und schlechter Benotung, um des sofortigen Abschlusses (auch hinsichtlich der Auflage und der Drucklegung) hat Herr Dippel nicht zu vertreten. Aus heutiger Sicht, ohne Würdigung aller Interaktionen, die zu einem Promotionsverfahren gehören, ohne Blick auf den schwierigen, Herrn Dippel sichtlich sehr fordernden, zweitweise sogar überfordernden Forschungsstand des Themas bzw. auf die entsprechende, nur mit dem Similis Schirra minimal zu bewältigende Offenheit beschreibt die FAZ (19.2.) das Problem: Betreuer und Gutachter hätten genauer, vor allem auch formaler hinsehen sollen. Dem schließe ich mich von heute gesehen an.

fuldainfo

Fühlen Sie sich ggf. selbst ein wenig mitschuldig, dass es nun soweit gekommen ist, wie wir am Rosenmontag erfuhren?

Prof. Hennig

Ja, im Nachhinein. Ich hätte von heute aus gesehen, damals strenger verfahren müssen.– In der Erinnerung sollte das gerade angenommene Verfahren im Konsens der Gutachter und der weiteren Prüfer abgeschlossen und in jeder Beziehung beendet werden.

fuldainfo

Was würden Sie Herrn Dippel raten?

Prof. Hennig

Dem Fachbereich hätte es, meine ich, angestanden, eine „Heilung“ all der im Verfahren entstandenen Fehler zu suchen. Das ist der Ausgang aller weiteren Überlegungen. Herrn Dippel rate ich zu Demut, zu keinem Beharren, zum Eingeständnis seiner Fehler und zur Prüfung aller weiteren Fehler wie Probleme im Verfahren. Nach der Schuldzuweisung, dem Plagiatsvorwurf an ihn, ist das wohl nur durch Verfahren gerichtlich möglich. +++ fuldainfo